Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
nicht genügt.Auch Zapf, der Schulkamerad, ist darüber etwas verlegen; das ist der Händedruck der Gaukler und Pfaffen.
»Setzt euch doch«, sagt Gottlieb: »Jenny wird gleich kommen … Ihr nehmt doch einen Apéritif?« fragt er, dieweil sie sich gehorsam setzen, und damit ja keine Stille entsteht, schwätzt er gleich weiter: »Wie geht es denn immer?«
»Danke.«
»Ja, meine Lieben, wer hätte das gedacht! Damals vor sieben Wochen. Mir kommts wie eine Ewigkeit vor! Dieser Harlekin mit dem bengalischen Furz – und nun ist er doch kein Schwindler gewesen …«
Sie blicken sich verstohlen an.
»Ein Mann, ein Wort!« lacht Gottlieb: »Bouillon mit Mark, Forelle blau. Ihr werdet sehen! Gans, gefüllt mit Kastanien, Spätzli, Preiselbeer, Salat nach Jahreszeit. Fruchtsalat mit Kirsch oder Torte für die Damen, Kaffee, Zigarren. Und Wein, hoffentlich habe ich mich richtig erinnert, Johannisberg und Pommard –.«
Der Ringer haut sich auf den Schenkel.
»Gottlieb«, sagt der bedächtige Bäckermeister: »das alles ist doch nicht dein Ernst?«
»Ein Mann, ein Wort.«
»Was soll das bedeuten –?« fragen sie.
Jetzt kommt Knicks, zum Oberkellner befördert, gefolgt von neun Unterkellnern, jeder mit einem silbernen Tablett. (Kann als Ballett aufgezogen werden). Die Kapelle spielt. Und dann, wie jeder Gast ein köstliches Gläslein hält, die alte Bettlerin und das Blumenkind nicht ausgenommen, sagt Gottlieb mit ehrlichem Bemühen, nicht ganz so feierlich zu werden, wie ihm wirklich ums Herz ist:
»Auf unsere Freundschaft – kipp!«
Also geschieht es.
»Klasse«, sagt der Ringer.
Die Kellner füllen sofort nach … Auch Stramm, der Gendarm, läßt es sich gefallen. Er ist schon bei manchem Schwarzhändler gewesen. Und Knacks, der Doktor, will sogar die Etikette sehen;das Blumenkind mustert die Garbe von Chrysanthemen; die alte Bettlerin betastet die Vorhänge; Zapf, der Mann von der Tankstelle, schiebt seine verölte Schirmmütze aus der Stirne, wie er es in der Wirtschaft immer macht, und Schopf, noch immer den Lüster musternd mit geistfernem Staunen, kratzt sich unwillkürlich das Brusthaar – kurzum, sie werden freier … Und auch Gottlieb, seinen Frack vergessend, nimmt, kaum hat er das Gläschen hingestellt, seinen linken Fuß in die rechte Hand, ihn übers Knie ziehend: ein Gottlieb, wie jeder ihn kennt, ganz der alte, wenn er bloß nicht so viel von Freundschaft schwätzte.
»Im Ernst«, sagt er: »eure Freundschaft ist mir wertvoller als alle Schätze dieser Welt. Ich habe euch allen das gleiche berichtet: Lieber Schopf, liebe Katty, lieber Zapf, mir ist was zugestoßen, ich brauche dich sehr – und keiner hat mich im Stich gelassen. Ihr seht es selbst! Ihr habt mich gefoppt, nun ja, aber das habe ich schon gewußt, daß ihr zu mir steht, wenns ernst wird – und das ist es halt nun geworden … Ja, deswegen müßt ihr nicht die Augen niederschlagen. Ich bleibe der Alte. Das ist doch klar. Ich habe mich nicht verändert, Jennylein kanns bezeugen, nicht so viel. Das müßt ihr mir schon glauben. Ich bin heute nicht ins Geschäft gegangen, das gebe ich zu. Keiner an meiner Stelle wäre heute ins Geschäft gegangen – aber unter uns, meine ich, da hat sich nichts verändert, das ist doch selbstverständlich, darüber wollen wir doch keine Worte verlieren, denke ich – Wir bleiben die Alten!« sagt er und nimmt das Gläslein: »Trinken wir auf unsere Freundschaft!«
Sie nehmen ihre Gläslein.
»Wieso bist du nicht ins Geschäft gegangen?« fragt der nüchterne Schopf: »Du willst doch nicht sagen –«
»Stoßen wir an!«
»Das mit der Unterschrift –«
»Stoßen wir an!« sagt Gottlieb.
»Und das mit dem Mandarin –«
»Stoßen wir an!«
»Der Mandarin«, fragt das Blumenkind: »der ist wirklich dran gestorben?«
»Der Teufel soll ihn holen«, sagt Gottlieb: »davon wollen wir jetzt nicht reden – trinken wir auf unsre Freundschaft! sage ich, und damit Prost!«
»Prost.«
Endlich ist es soweit, daß Jenny aus der alten kleinen Bettkammer kommt, großartig anzusehen, unwahrscheinlich, aber etwas verzagt; am Rücken bringt sie einen Knopf nicht zu, Gottlieb soll helfen.
»Ihr müßt doch nicht alle aufstehen«, sagt er: »Herrgott nochmal!«
Ein Abendkleid nicht zu beschreiben; Jenny ist eine Dame, nicht wiederzuerkennen als die Jenny vom Fischmarkt, und keiner der Männer, die je durch diese Bettkammer gegangen sind, Kaufleute aller Stufen, Studenten, Familienväter, Arbeitgeber,
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