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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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einzige Blume, spuckt hinein, und noch während eine Garbe von frischen Chrysanthemen aus der besagten Vase emporwächst, hat er sich gewendet, reibt sich das Kinn, nochmals das Gesamte betrachtend, winkt einem Lüster, daß er weiter herunter komme, und dann, nach einem nur aus alter Erinnerung lüsternen Blick in die kleine alte Bettkammer, wo Jenny sich umkleidet, tritt er zum neuen marmornen Kamin, öffnet die Klappe, die sich mit einem kunstreichen Griff aus Messing bedient, und entschwindet durch den Rauchfang …
    Stille.
    Der erste der Gäste, der hier das Staunen lernt, ist Schopf, der Bäckermeister. Er tupft sich den Schweiß von der Stirn, so hat er sich beeilt, denn man hat ihm nur sagen lassen, Gottlieb sei in der Klemme, es sei etwas passiert. Da hat er seine weiße Schürze losgebunden, er war gerade in der Backstube; nun steht er da in seinen hellen Bäckerhosen, sockenlos, die Schuhe voll Mehl, Hemd ohne Krawatte, die Ärmel gekrempelt, Teig unter dem Ehering – aber von Gottlieb ist nichts zu sehen, und pfeifen, das spürt er sogleich, schickt sich hier nicht; doch ein Mädchen ist auch nicht da, niemand, die Türen öffnen sich von selbst, amerikanisches Modell. Hat nichts mit Wunder zu tun, Technik, das ist alles. So etwas mit Elektrofoto … Schopf, wie gesagt, tupft sich den Schweiß von der Stirne; der Teufel solls holen, so hat er noch in keiner Backstube geschwitzt – und schon öffnet sich die Türe vor dem nächsten Gast: die Bettlerin.
    »Sie hier –?«
    »Was soll das bedeuten –?«
    »Das frage ich mich auch –.«
    Natürlich wiederholt sich das bei jedem, der kommt. Der nächste ist Knacks, der Rechtsanwalt, der weniger aus Freundschaft kommt, sondern aus Neugier, übrigens der einzige, der auf einem Spannteppich gehen kann, ohne die Füße besonders zu heben, und sich nicht verdutzen läßt.
    »Ich rieche Schwarzhandel –« sagt er.
    »Glauben Sie?«
    »Kennen wir«, sagt er, indem er die Einrichtung etwas befühlt: »Mit seiner Hände Arbeit hat das noch keiner verdient –.«
    Dann das Blumenkind.
    »So was«, sagt sie: »So was –.«
    Sie strahlt. Übrigens wird alles nur geflüstert, und je zahlreicher die Gäste werden, um so leiser; Getuschel wie vor einem Begräbnis, Achselzucken, Nicken auf Entfernung. Es sind ferner gekommen: Zapf, ein Schulkamerad von Gottlieb, Inhaber einer Tankstelle, und die alte Frau Holle, die Zimmerwirtin von Gottlieb, die auf alles gefaßt war, seit er nicht mehr zu Hause geschlafen hat, auf alles, flüstert sie, aber nicht gerade so … Einen lautenTon gibt es erst, als die Türe sich zum letzten Male öffnet, und es erscheint der Ringer im gestreiften Trikot; da rufen sie alle:
    »Mensch Meier! –«
    Er kommt geradezu aus dem Gefängnis, jawohl, der Gendarm kann es bezeugen. Der Gendarm nämlich, das ist sein neuer Freund; übrigens der gleiche, der damals aus der Nase geblutet hat. Stramm heißt er, ein Herzenskerl, wenn man ihn außerdienstlich kennt; jetzt kommt er außerdienstlich, versteht sich. Und natürlich muß der Ringer erzählen, wie es gewesen ist. Und wieso man ihn hat laufen lassen?
    »Kaution«, sagt er.
    »Was ist das?« fragt das Blumenkind.
    »Freiheit«, sagt der Rechtsanwalt und streichelt dem ahnungslosen Kind das junge Haar: »– Geld.«
    Die Freude, daß Meier sich auf freiem Fuße befindet, ist laut und allgemein, einen Augenblick vergessen sie darüber, wo sie stehen; so laut, daß Gottlieb, der Spender solcher Freiheit, zuerst gar nicht bemerkt wird, als er unter der großen Flügeltüre steht: Gottlieb im Frack –
    »Freunde«, sagt er in seiner schlichten Art: »da seid ihr ja!«
    »Ah!« machen alle.
    »Schopf!« sagt er: »Mein Lieber –«
    Und so, überströmend von Herzlichkeit, geht Gottlieb auf sie zu, auf seine alten guten Freunde, die ihn mustern. Und Katty, das Blumenkind, tut sogar einen Knicks; Gottlieb lacht sie aus; kein Wort bringt sie über die Lippen.
    »Was ist denn los?« sagt Gottlieb: »Was glotzt ihr denn so? Alle stehen; wieso hockt ihr nicht?… Macht keine Flausen, ich bitte euch!… Ich finde es wirklich schön, Kerls, daß ihr gekommen seid! Und das an einem heiligen Montag, mitten aus der Arbeit raus – Zapf!« lacht er erleichtert: »Auch du?«
    Und so, wie gesagt, geht er zu jedem, schüttelt ihm die Rechte, wozu er seinerseits, seine Freundschaft deutlicher zu zeigen, beide Hände verwendet. Schon das ist faul, denkt Schopf, der Bäckermeister; sehr faul, wenn es mit einer Hand

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