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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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nichts nach, das wißt ihr, ihr kennt euren Gottlieb. Und somit: kein Wort mehr davon! – aber wo bleibt der Ringer?«
    »Er kommt nicht.«
    »Kommt nicht –.«
    Gottlieb wird blaß.
    »Kommt nicht!« schreit er plötzlich. »Seinetwegen habe ich die verfluchte Unterschrift gegeben. Seinetwegen! – Kommt nicht … Ich habe ja Muskeln, ich lasse mir nichts befehlen! – verstehe, verstehe. Kaum habe ich ihn aus dem Gefängnis befreit – Kommt nicht!«
    Und zum Harlekin sagt er:
    »Auf die Galeere mit ihm.«
    Natürlich springen alle empor –
    »Auf die Galeere«, wiederholt Gottlieb mit ruhiger Stimme: »Dort kann er seine Muskeln zeigen.«
    Der Harlekin nickt, Gläser füllend.
    »Bitte«, sagt Gottlieb, »setzt euch.«
    Sie setzen sich, und nachdem Gottlieb mit einem Wink bedeutet hat, daß jetzt Musik am Platze wäre, kommen auch schon, einem Ballett ähnlich, die Kellner mit den blauen Forellen.
    »Hoffentlich schmeckt es euch, meine Lieben. Ich möchte, daß ihr zufrieden und fröhlich seid. Oder was habe ich euch denn zuleide getan, daß ihr einfach abhaut, wenn ich ein Bankett gebe? – Doktor, antworten Sie!«
    »Ich?«
    »Was habe ich Ihnen zuleide getan?«
    »Nichts.«
    »Und du, Zapf –?«
    Alle sagen: nichts.
    »Also«, lacht Gottlieb: »dann nehmt euer Glas und laßt uns anstoßen.«
    Sofort nehmen alle ihr Glas, erheben sich, nur Gottlieb bleibt sitzen.
    »Was denn?« lacht er: »Warum steht ihr denn schon wieder auf. Zum Teufel nochmal! So stoße ich nicht an – Stehen sie auf wie die Hofschranzen! – Sternenhageldonnerwetter, sind wir nicht zusammen in die Schule gegangen? Was soll das heißen, Zapf? Sind wir nicht mit unsern Kesselchen in die gleiche Volksküche gepilgert, haben wir nicht die gleiche Suppe gelöffelt? Ja oder Nein? Ich frage.«
    »Haben wir – ja.«
    »Und du, mein lieber Schopf! Wie kommt ihr mir denn vor? – Schopf, mein Alter, erinnerst du dich nicht mehr, wie du bei uns zu Haus den Sankt Niklaus gemacht hast? Mensch! und wie ich geschlottert habe, wenn du das große Buch genommen hast, das Sündenbuch. Da ist noch etwas ganz Schlimmes! hat er gesagt. Ich weiß schon, sagte ich, ich weiß schon. So sag es gleich selber! brummte er durch seinen Wattebart. Ein Erstkläßler, wollte er sagen, dürfte nicht mehr ins Bett machen. Aber dazu kam er gar nicht. Ich weiß, sagte ich mit roten Ohren, man soll den Schulmädchen nicht unter die Röcke greifen –«
    Gottlieb hört sein eigenes Lachen, sonst nichts.
    »Ich bitte euch wirklich, meine Lieben, setzt euch. Laßt uns anstoßen, wie wirs immer getan –«
    Sie setzen sich.
    »– auf unsere alte Freundschaft!«
    »Ja«, sagte Schopf: »auf die alte.«
    »Prost.«
    Eine kurze Weile, nachdem sie getrunken haben, schwätzt Gottlieb noch weiter, Erinnerungen aus dem Quartier, Bubenstreiche; eine kurze Weile, dann unterbricht er sich selbst:
    »Warum eßt ihr nichts?«
    Antwort:
    »Es stinkt nach Leiche.«
    Gottlieb springt auf:
    »Wer hat das gesagt?«
    »Ich sage nur, was jeder riecht. Es stinkt nach Leiche«, sagt Schopf: »das bin ich nicht gewohnt.«
    »Das ist nicht wahr!«
    »Dann halt nicht.«
    »Lach nicht!«
    »Hast du selber gesagt, wir sollen lustig sein –«
    »Das ist kein Witz, Schopf, das weißt du ganz genau, das ist kein Witz –«
    »Sondern die Wahrheit.«
    »Es gibt keine Leiche!«
    »Dann halt nicht«, lacht Schopf, der Bäckermeister, und fängt zu essen an: »Um so besser, mein Freund, dann schmeckt es mir natürlich auch. Forelle blau! Wo bleibt die zerlassene Butter?«
    »Noch mehr?« fragt der Kellner.
    »Immerzu, mein lieber Knicks, mir schmeckt alles, wenn es nicht nach Leiche schmeckt«, sagt Schopf, indem er, den Mund voll Forelle, zu Gottlieb blickt: »Warum setzest du dich nicht?«
    »Schopf –!«
    »Das ist verdammt ungemütlich, weißt du, wenn der Gastgeber selber keinen Appetit hat. So eine Forelle! das erinnert mich ja geradezu an meine Hochzeit. Da bist du ja auch dabeigewesen, Gottlieb – damals, ja, wer hätte das gedacht!«
    »Was?«
    »Und so ein Weinchen! Wieso trinkt ihr nicht, meine Lieben? Wieso eßt ihr nicht? So einen Fraß, ich sage euch, das seht ihr kein zweites Mal –« 
    »Was willst du damit sagen?«
    »Gottlieb ist mein Freund. Schaut ihn an! Wie er keine Rast und Ruhe hat, wie er dasteht und schaut, ob ihr alle bedient seid. Ist das ein Herzensjunge oder ist das kein Herzensjunge? Wir kennen uns seit zwanzig Jahren, haben uns nie beschwindelt, soist das mit der

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