Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
vielleicht verhungert auch Gottlieb daran. Das ist ihre Hoffnung. Und der andere Zug, der mit der Dame: Jenny hat es heimlich mit dem Harlekin, ja, sie betrügt ihn also, und zwar nicht wenig, denn sie ist jung, und wer könnte einen Menschen lieben, den man fürchtet? Gottlieb ahnt es übrigens sehr. Man kann alles erzwingen, nur nicht Liebe. Da hilft ihm keine Zauberei; sie haßt ihn, und wie soll er auf die Dauer einen Menschen lieben können, der ihn haßt? Jenny hat auch keine Angst mehr vor seiner Unterschrift; sie ist nicht mehr der Mensch, »den er am meisten liebt«. Er versucht, die streikenden Sklaven zu überreden, Zapf vor allem, seinen früheren Schulgenossen, daß sie ihn doch endlich an ein Ufer rudern; im Augenblick, wo alle Sklaven auf Deck versammelt sind, zieht jemand den Vorhang der Kajüte auseinander: Jenny in den Armen des Harlekins – Gottlieb, und das läßt sich ja nachfühlen, greift zur letzten Unterschrift, Knall, Blitz, und am Boden liegt der Mensch, den er einzig liebt: also er selbst … Ich fände dieses Ende, wie gesagt, sehr positiv. Natürlich ist der Teufel nicht aus der Welt. Aber keiner dieser Ruderer, siehe da, gibt ihm eine Unterschrift. Das wäre das Märchenhafte daran. Im Gegenteil, sie werfen den Harlekin sogar über Bord, gehen gemeinsam an die Ruder, um das Ufer zu erreichen, und singen dazu noch einen Choral, dieweil die Fahne der Freiheit gehißt wird. Ich habe mir auch schon überlegt, wie diese Fahne in meinem Film aussehen müßte. Ich stelle mir vor: ein Mast, sonst nichts, jedes Fahnentuch ist wieder des Teufels. –)
Kampen, Juli 1949
Endlich ein Arbeitszimmer, wie man es sich wünscht: groß und licht, bequem auf eine nüchterne Art, zwei Fenster hinaus auf das Wattenmeer, viel Platz zum Gehen, Tische, wo man Papiere ausbreitenkann, Entwürfe, alte und neue, Briefe, Bücher, Muscheln und Seesterne, Ketten von trockenem Tang – ich bin schon die dritte Woche in diesem lieben Haus – und draußen flötet der Wind, Regen prasselt gegen die Scheiben, die vom Anfall des Windes zittern, Wolken jagen über das Uferlose. Man sitzt und schaut, ganz sich selber ausgesetzt. Hin und wieder kippe ich einen Steinhäger oder zwei; man braucht das bei so viel leerem Himmel. Oder ich greife zum Feldstecher, der auf dem Sims liegt, schaue, ob jemand über die Heide stapft, ein Briefträger, ein Mensch. Das rötliche Gras, büschelweise im Winde wogend, hat das Fliehend-Bleibende von Flammen; anzusehen, als brenne der ganze Hang. Hin und wieder ein britischer Düsenjäger, der über die Insel jault. Viel Raum. Man spürt den Raum, auch wenn man nicht hinausschaut; wenn ich lese oder an der Schreibmaschine sitze oder an dem Pültchen stehe, wie eben in diesem Augenblick, es hört ja nicht auf, das Flöten des Windes, es bleibt das Gefühl, man befinde sich am Rande der Welt. Ein förderliches Gefühl; vieles macht es leichter. Noch habe ich mich keine Minute gelangweilt. Was ich an Menschenwerk sehe: sechs Häuser, weit ins Weite verstreut, jedes einsam, geduckt unter einer Kapuze aus mausgrauem Schilf. Ganz in der Ferne sieht man den Hindenburgdamm. Und natürlich einen Leuchtturm; eine verkehrte Uhr: der Zeiger steht, die Wolken fliehen dahin. Meine Unterhaltung, wenn es nicht die Arbeit ist, sind Ebbe und Flut; das Wattenmeer mit glitzernden oder schäumenden Wellen, dann wieder ist es eine Wüste von Schlick, Möwen stelzen in spiegelnden Tümpeln, ganze Rudel, anzusehen wie ein Feld von weißen Narzissen. Ein Fischerboot sitzt mit schrägem Mast auf dem schwärzlichen Grund, wartend auf die nächste Flut. Am Ufer reitet ein Mädchen mit offenem Haar.
Post: –
Zwei Freunde, Männer von literarischer und theatralischer Erfahrung, schreiben mir auf diese Insel hinaus ihre Meinung über das neue Stück (»Graf Oederland«), das noch im Werden ist. Der eine findet es jedenfalls besser als die früheren Stücke,obzwar er noch dieses und jenes wünscht; der andere findet es jedenfalls schwächer als die früheren Stücke. Wer hat recht? Beide schreiben klug, sachlich, verständlich. Eine Ermutigung zum Weitermachen, eine Ermutigung zum Verzichten. Wem soll ich nun folgen? Beide zusammen haben die Weisheit des Orakels, das im Grunde stets den gleichen Rat gibt, den einzig möglichen, den in freundliches Dunkel verhüllten:
»Entscheide dich selbst.«
Auch heute, trotz Regen, eine Stunde am Strand entlang, schräg in den stoßenden Wind gelehnt. Die Nordsee ist grün,
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