Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
von Keith, das ging noch. Weil er es selber war. Am besten war sein Jack, der Lustmörder. Ein Schauspieler war er nicht, aber ein Dichter –.«
Später hat sie dann doch wieder gestrickt, damit der Nachmittagnicht verloren sei, weitererzählend von Männern und Frauen, unbekümmert um ihren heutigen Ruhm oder ihre Entthronung; sie ändert ihre Liebe so wenig wie eine Mutter, wenn die Welt, die auch nur aus Menschen besteht, ihre Kinder rühmt oder schmäht, und auch ihre Verachtung bleibt unerschüttert … Wedekind, Hofmannsthal, Ibsen, Strindberg, Hauptmann, Gorki, es fallen Namen auf Namen, Kainz, Stanislavsky, Reinhardt, Valentin, Duse, Steinrück, Moissi, Jessner, Bassermann – nehmt alles nur in allem: es war doch eine Zeit, und langsam kann ich ihren Zorn schon verstehen, ihre Verachtung gegenüber den Leutchen, die sie gestern besucht haben.
»So ein Pack«, sagte sie: »so ein Pack.«
Sie ist sogar aufgestanden. »Nein, so ein Pack –.«
Die Lippen gepreßt, hart wie eine Greisin es sein kann, den Kopf schüttelnd, gefaßt, ohne es fassen zu können, was sich heutzutage tut, steht sie an der Fenstertüre, lange wortlos, beleidigt, obschon es sie nichts mehr angeht, über die eigene Person hinaus beleidigt; schließlich steckt sie die gelockerte Spange in ihr weißes Haar, wendet sich und fragt:
»Oder ist das nicht ein Pack?«
Dieselbe Insel, bei Nebel und Regen ganz ins Spukhafte verdämmert, hat plötzlich etwas Antikisches. Eine Luft wie Glas: die Ferne ist fern, aber klar und genau, ungespenstisch, heiter und endlich. Das alles gibt es auch im Norden, die blaue Finsternis des Meeres, das Lichterlohe, daß wir nicht wissen, wohin mit dem Dank für unser Dasein. Ein Tempel, ein dorischer, würde nicht überraschen; es ist aber nur ein gesprengter Bunker. Und dann, unversehens, steht da ein nackter Mensch auf der Düne, ein junger Mann, seine Hände in die Hüften gestützt; auch eine junge Frau, beide braun, herrlich wie am ersten Tag. Einen Augenblick stehen sie vor lauter Himmel. Dann gehen sie weiter über den lichten Sand, Hand in Hand, und plötzlich laufen sie, vom eigenen Übermut gejagt, verschwinden hinter den Büscheln von hohem, dürrem, wehendem Gras …
Gespräch über Ehrlichkeit.
Wenn die Ehrlichkeit darin bestünde, einfach alles zu sagen, es wäre sehr leicht, ehrlich zu sein, aber wertlos, nicht lebbar, alles zerstörend, Tugend auf Kosten der andern. Wo aber beginnt die Lüge? Ich würde sagen: wo wir vorgeben, in diesem Sinne ehrlich zu sein – kein Geheimnis zu haben.
Ehrlich sein: einsam sein.
Endlich einmal zu den Baracken, die man immer von weither sieht. Ein Lager von schlesischen Flüchtlingen. Schmutzwäsche an der Sonne, Kinder, Blechgeschirr, Arbeitslose, Kaninchenstall voll Volksgenossen, ganz abseits wie die mittelalterlichen Siechenhäuser. Nur der Staat reicht ihnen die nötige Nahrung. Man spricht nie von ihnen. Das einzige, was ich bisher gehört habe: sie haben wieder ein Huhn gestohlen! – daneben die Leute im bunten Bademantel, die glänzenden Limousinen, die es auch wieder mit deutschen Nummern gibt … Ferner denke ich an den polnischen Bauer, der uns vor einem Jahr bewirtet hat, den braven, der jetzt auf ihren Feldern pflügt, weil man ihn auch von den seinen vertrieben hat, und der ein genaues Tagebuch führt über seine Arbeit, auch über die Arbeit dieses heutigen Tages, über Saat und Ernte –.
Wem wird er es einmal zeigen müssen?
Denen mit der Limousine?
Wieder einmal Wedekind gelesen, der zu den wirklichen Theatralikern gehört, und Hauptmann. Wie oft beim Anblick ganzer Lebenswerke: was die Größe eines Lebenswerkes entscheidet, ist nicht so sehr die Größe des schöpferischen Vermögens, sondern das Verhältnis zwischen dem schöpferischen und kritischen Vermögen. Bei Hauptmann erscheint das Schöpferische oft ohne jedes Spalier, verwuchert sich in ein Solala, das mancher Mindere sich versagen würde; das Urteil hält nicht Schritt, die Schere des Gärtners kommt nicht nach. Man könnte sich auch die umgekehrte Gefahr denken: das kritische Vermögen ist überwach, voreilig, selbstherrlich, so daß es das Schöpferische, das vorerstimmer einer gewissen Schonung bedarf, schon im Keime umbringt. Hier ein fruchtbares Verhältnis zu finden, eine Balance dieser beiden Vermögen, so wie sie einmal gegeben sind, das ist die stete und allereigenste Aufgabe jedes Künstlers, lösbar nur aus der eignen Erfahrung, aus dem
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