Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
fleckenweise auch violett. In der Ferne, irgendwo hinter dem wässernen Horizont, steht eine silberne Garbe von Sonne. Auf dem Kliff bläst ein Wind wie im Gebirge; man muß sich, um atmen zu können, auf die andere Seite drehen. Die Strandkörbe sind leer. Eine Brandung, wie ich sie noch nie gesehen habe. Ich habe die Schuhe ausgezogen, denn immer wieder kommt eine überraschende Zunge, schäumig wie Seifenwasser, dann sinken die Füße in den rieselnden Sand, am Rand der wässernen Zungen schwabbert der Schaum, Gischt der großen Brecher, er schwabbert eine Weile lang, bis der Wind ihn zerflockt; trocken wie Watte fliegt es davon. Es bleibt ein Saum von zerbrochenen Muscheln und Tang, zuweilen ein Seestern mit den Bewegungen seines blinden Lebens. Auch eine Bombe hat es angeschwemmt, leer, verrostet mit verbogenen Flügeln.
Ein nicht unbedeutender Vorteil: daß man in einem fremden Land nicht meint, man müsse allem gegenüber eine heimatliche Übereinstimmung empfinden. Man erwartet nicht, was es niemals geben kann. Schon das gibt dem fremden Land jedesmal etwas Befreiendes, Erfrischendes, etwas Festliches, was uns dann der Heimat gegenüber oft ungerecht macht. Es sind überall nur wenige, denen man zugetan sein kann. Das Ungerechte: in der Fremde bin ich dankbar für die wenigen, in der Heimat entsetzt über die Menge der andern.
Gestern ist meine liebenswerte Gastgeberin verreist; in Frankfurterwartet man Thomas Mann – wie ich den Zeitungen entnehme: mit viel Haß …
(Der Fall, scheint mir, hat etwas Tragisch-Groteskes: ein deutscher Zeitgenosse, ein Weltmann, dem es vergönnt war, die Weltachtung der deutschen Sprache durchzuhalten, kommt nach Deutschland, aber nur wenige schauen ihm ins Gesicht, die andern glotzen auf seine Füße, warten darauf, daß er stolpere. Was werden sie dabei gewinnen? Eine Emigration ist fruchtbar geworden; das ist für jene, die diese Emigration verhängt haben, ein leidiger Anblick, und nichts ist begreiflicher als ihr wildes Bedürfnis, die Fehler dieses Mannes aufzuzeigen. Wer möchte leugnen, daß er sie hat? Auch die bekannten, von ihm selbst gepflegten, nicht immer mit Ironie gepflegten Anbiederungen an den alten Goethe, wer würde ihm einen Vorwurf daraus machen, wenn Thomas Mann nicht sonst so unbequeme Dinge geschrieben und gesprochen hätte? Für viele seiner Landsleute, selbst wenn sie sein Werk kaum kennen, ist er etwas wie eine Innenfigur geworden; sie lechzen nach Weltachtung, er hat sie, aber sie können sich nicht mit ihm verbrüdern, ohne daß sie etliches zugeben müßten, was er zu ihrem Unbehagen gesagt hat – so begnügen sich jetzt die meisten mit dem Versuch, ihm die Weltachtung abzukratzen: als könnten sie dabei gewinnen.)
Wie ich in der Nacht nach Hause gehe, traue ich meinen Augen nicht. Das Haus steht auf dem Hügelchen wie sonst, aber das ganze flache Vorland ist verschwunden. Der Weg, den ich vor Stunden noch gegangen bin, ist nicht mehr; die Lattenzäune stehen in nächtlichen Wellen, die der Mond beglänzt, ebenso die Heuhaufen. Es werde, sagen die Nachbarn, nicht weiter steigen. Immerhin – ein bißchen Sintflut ist es schon …
Heimat.
Die Summe unsrer Sitten und Unsitten, eine gewisse Gewöhnung, das Gemeinsame einer gleichen Umgebung, all das ist nicht wertlos. Am gleichen Ufer gespielt zu haben, natürlich hat es etwas Verbindendes; es für Wesensverwandtschaft anzusehen,wäre ein Irrtum, der uns früher oder später, indem wir ihn nur als Enttäuschung erleben und nicht als Irrtum erkennen, ungerecht macht. Heimat ist unerläßlich, aber sie ist nicht an Ländereien gebunden. Heimat ist der Mensch, dessen Wesen wir vernehmen und erreichen. Insofern ist sie vielleicht an die Sprache gebunden. Vielleicht; denn in der Sprache allein ist sie ja nicht. Worte verbinden nur, wo unsere Wellenlängen übereinstimmen; das wiederum heißt nicht Einverständnis, das es nirgends so häufig gibt wie unter Wesensfremden, die einander mißdeuten, sondern Erreichbarkeit, und gerade wo man sich unter anderen Bedingungen trifft, erleben wir, durch keine gleichen Gewöhnungen getäuscht, das Verwandte oft um so reiner, um so überraschender und um so dankbarer, um so fruchtbarer.
(Sinn des Reisens.)
Was ich in Deutschland suche: die Weite im Verwandten. Die anderen Größenverhältnisse spiegeln sich immer auch im Menschlichen. Viele tragen hier den Kopf etwas höher, als ihnen zukommt, und verwechseln sich gerne mit der Größe ihrer
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