Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
ist nichts Besonderes, er macht sich einen schwarzen Kaffee, geht in sein Arbeitszimmer, liest seine Akten oder so, und am Morgen, wenn ich zum Frühstück komme, dann ist er natürlich schon weg …«
»Ja.«
»Und dann, ach Gott, es war in der letzten Zeit so viel … auch sonst –«
»Wie meinst du das?«
»Schließlich schämt man sich auch, nachzuforschen, wo der Mann seine Nächte verbringt –«
Als Doktor Hahn, um sein tiefes Verständnis darzustellen, die Hand auf ihr Haar legt, genügt es, damit sie plötzlich weint, tonlos, aber man sieht es ihren schmalen Schultern an, daß sie schluchzt; Doktor Hahn streicht ihr immer noch das Haar:
»Nicht doch … nicht doch …«
Er legt die Zigarre weg.
»Elsa …!«
Sie nimmt sein Taschentuch.
»Glaubst du«, sagt sie unter langsam nachlassendem Schluchzen: »daß er es gewußt hat – wegen uns beiden …?«
Es klopft.
Nach einer ratlosen Weile, als beide darauf warten, daß es nicht stimmt, was sie hörten, und daß das Klopfen nicht wiederkommt, klopft es abermals, und Elsa schiebt das Taschentuch in den Ärmel, es ist Wut, was sie aufrichtet; entschlossen geht sie zur Türe:
»Jetzt ist es aber wirklich genug –«
Sie öffnet die Türe, wo vorher das Dienstmädchen erschienen ist, die Person, die sie nicht ausstehen kann, und scharf und böse kommen ihre Worte:
»Diese schamlose Schnüffelei, glauben Sie eigentlich, ich lasse mir das noch lange gefallen – Inge?… Inge? Inge?«
Doktor Hahn sagt:
»Vielleicht war es an der andern Türe –«
Es klopft zum drittenmal.
»Herein?«
Der Hellseher, als er aus dem Schlafzimmer kommt, macht die gleiche Verbeugung wie zuvor, ebenso überflüssig und ebenso theatralisch, indem er seine Flossen reibt:
»Entschuldigen Sie –«
»Nichts zu entschuldigen!«
»Ich sehe eben, daß es sieben ist. Wenn es stimmt? Um acht Uhr habe ich Vorstellung –«
»Sie müssen gehen?«
»Es tut mir leid«, sagt er und schaut nach seinem Mantel: »aber wir haben eigentlich gesehen, was man sehen kann –«
Schweigen voll mißtrauischer Erwartung.
»Sehr ordentlich, sehr ordentlich –.«
Dann zieht er seinen Mantel an, der über einem Sessel gehangen hat, und die beiden andern sind so voll Frage, daß sie ihm nicht mit einer einzigen Gebärde helfen, obschon er sich lange genug mit dem zweiten Ärmel herumwürgt.
»Am meisten«, sagt er: »Am meisten sehe ich ihn hier – hinter diesen Wänden …«
»Lebend?«
»Ja, das schon …«
Elsa setzt sich:
»Lebend.«
»Ja, sogar sehr …«
»Aber?«
»Ich sehe nicht wo.«
Doktor Hahn beißt sich die Lippe, wie er es öfter tut, wenn er sich in einem lächerlichen Verhör beherrschen muß:
»Schade«, sagt er höflich: »sehr schade.«
Dann ist der Mantel angezogen.
»Ich sehe nur, wenn Sie gestatten, daß ich das sage – ich sehe den Herrn Oberrichter … aber Sie müssen nicht erschrecken, wenn ich das sage; ich habe den Herrn Oberrichter sonst noch nie gesehen –.«
»Nun?«
»Wie soll ich sagen …?«
Er tastet sein Kinn:
»Jedenfalls sehe ich ihn mit einer Axt in der rechten Hand –.«
Elsa blickt nach ihrem Freund:
»Mit einer Axt?«
»Ja, das sehr deutlich …«
»Mit einer Axt? Das ist ja lächerlich! Karel mit einer Axt in der Hand? In unserem ganzen Hause gibt es keine Axt …!«
»Vielleicht gerade drum, Frau Oberrichter.«
Elsa scheint erleichtert:
»Was macht er denn mit der Axt?« lächelt sie: »Bäume fällen?«
Der Hellseher nimmt den Hut:
»Hoffen wir es –.«
Das also ist alles, Kabarett, wie man erwarten konnte, und obschon es geschmacklos ist, obschon man überhaupt kein Ergebnis in der Hand hat, empfindet es Elsa als eine eigentliche Erleichterung, daß man nicht wirklich durch die Wände sehen kann; ihre Lustigkeit, die sie nicht zeigen darf, verwandelt sie, indem sie den Hellseher hinausbegleitet, in eine Höflichkeit von bezaubernder Eleganz; eine ganze Weile noch hört man sie draußen im Flur, ohne daß man ihre Worte versteht … Doktor Hahn, als er sich allein im Zimmer seines verschollenen Freundesbefindet, öffnet ein kleines Schränklein, nimmt zwei Gläser heraus und einen Cognac, dem man glauben wird, daß es ein alter ist. Bevor er aber eingießt, dreht er noch das Radio an, das eine leise verschwommene Musik gibt, und als auch die Ständerlampe leuchtet, haben wir eine Ecke, wie man sie gemütlicher und gediegener nicht wünschen kann.
Das Radio spricht:
»Beim dritten Ton ist es genau neunzehn Uhr
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