Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
– zehn Minuten – dreißig Sekunden … Sie hören die Nachrichten aus dem Inland: –«
Elsa, die mit einem wortlos lächelnden Einverständnis zurückkommt, fast lustig und beschwingt, so daß man wieder die gehenden Oberschenkel unter ihrem anliegenden Kleide sieht, findet ihn gerade, wie er die beiden Gläschen füllt; sie sagt nichts, nimmt eine Zigarette in ihre runden und lassen Lippen, wirft ihr Haar aus der Stirne, und überhaupt gibt ihr die Erleichterung einen fast jugendlichen Zauber, einen Reiz, der die Eleganz schon nicht mehr brauchte, und man beneidet den Mann, der sich mit dieser Frau unter die Ständerlampe setzen wird … Das Radio spricht:
»Ferner wird das Folgende gemeldet:«
Hahn gibt ihr den Cognac.
»Ein schweres Verbrechen ereignete sich gestern an unserer Grenze. Drei Zöllner, die ihren gewohnten Dienst versahen, wurden mit der Axt erschlagen. Vom Täter fehlt bisher jede Spur. Es ist anzunehmen, daß der Täter auf einem Pferde reitet, das einem Bauern gestohlen worden ist …«
Fünfte Szene
Inge, da sie ihr Haar nun gelöst hat, ist kaum wiederzuerkennen; es fliegt im Wind; ihre wassergrauen Augen, die über den starken Backenknochen und weit außen an den Schläfen sitzen, funkeln wie nie zuvor, und niemand, wären nicht die beiden Schneidezähne, würde ihr ein solches Gelächter zutrauen, wenn sie die Arme emporwirft und ruft:
»Herrlich sind wir und frei!«
Alle sind betrunken, und ihre Schnapsflaschen sind leer, es sind die Köhler, welche das schwarze Holz machen, es sind die Taglöhner, die den Lehm stechen, es sind die Heizer, die beim Ofen schwitzen, es sind die Arbeiter, welche die Röhren brennen, es sind die Weiber, welche die Kinder haben, immer neue Köhler und Taglöhner und Heizer und Arbeiter, die um der Röhren willen leben, und ein alter Handlanger, der nicht mehr stehen kann, hebt sein leeres Glas und ruft aus einem Mund, der fast ohne Zähne ist:
»Lang lebe der Graf!«
»Er lebe«, rufen sie: »Er lebe!«
»Lange lebe die Gräfin!«
»Sie lebe«, rufen sie: »Sie lebe!«
Der Graf auf dem Pferd:
»Und es lebe ein jeder, der es versteht; lang ist die Nacht, kurz ist das Leben; verflucht ist die Hoffnung auf den Feierabend, heilig ist der Tag, und es lebe ein jeder, solang die Sonne scheint; herrlich ist er und frei …«
Jubel ohne Ende.
Der Graf lächelt vom Pferd:
»Es ist das letztemal, Brüder, daß wir zusammen getrunken haben –«
»Nicht doch!«
»Das soll er nicht sagen, Herr Graf, er hat uns versprochen, daß es immer so geht!«
»Warum das letztemal?«
»Ich habe versprochen: Es fließt euch die Milch, solang ihr nicht fragt, woher sie kommt, und es fließt euch der Honig, solang ihr nicht fragt. Nehmt alles zusammen, so habe ich gesagt, und bringt es hieher, wir wollen es essen, trinkt euren Branntwein zur Feier des Tages, und wenn ihr den letzten Tropfen bringt, den letzten Tropfen im Dorf, und keiner fragt, was nachher wird –«
»Der letzte Tropfen im Dorf!« lacht einer von den Köhlern: »Da hat er ihn, Herr Graf, der letzte –.«
Und er wirft sein leeres Glas.
»Ich habe versprochen, ich werde euch die Freude bringen, solang ihr nicht fragt, und war es nicht da, was ich versprochen habe?«
»Aus unseren Kellern, ja –.«
»Ich frage: War die Freude nicht da?«
Sein Pferd schüttelt die Mähne; er muß die Zügel reißen, damit es auf der Stelle bleibt, damit es nicht plötzlich durch die murrende Menge springt, und nochmals ist es der alte Handlanger, der aufzustehen versucht:
»Der Graf hat recht«, lallt er: »es war eine Woche, wie sie hierzulande noch keiner erlebt hat … sagt, was ihr wollt – Es lebe der Graf!«
Schweigen.
»Ich hielt mein Versprechen, solang ihr das eure gehalten; ich habe nach unseren Gütern geschickt, damit wir euch speisen, solange ihr lebt; ich habe nach Kleidern geschickt, wie ihr sie noch niemals erschaut habt, meine Brüder, nach seidenen Tüchern für eure Weiber und Mädchen –«
»So war es ausgemacht, das ist wahr.«
»Ich habe nichts von seidenen Tüchern gesehen«, ruft einer, »und wenn ich noch so viel Branntwein hätte –«
»Auch das ist wahr, Herr Graf, wie unsre leeren Keller und Kasten!«
Der Graf auf dem Pferd:
»Warum hat man gefragt, wer ich bin? Warum ist man in das Nachbardorf gegangen, um nachzuforschen, ob ich dort mein Wort gehalten habe? Warum verstreut ihr Gerüchte, daß ich das Nachbardorf in Brand gesteckt? Warum glaubt ihr mir nicht? Warum hocken
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