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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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sein Anwalt, der Oberrichter, ferner die Wächter, die wir Ihnen ebenfalls noch vorstellen werden. Das einzige Fenster, das Sie sehen, blickt nach dem Himmel; Zeichen auf die Straße hinaus sind nicht möglich, abgesehen davon, daß noch die Mauer dazwischen wäre; auch davon können sich die Herren überzeugen.«
    Einzelne blicken sich um.
    »Was ich noch beifügen darf: der Mörder weiß bisher nichts von den Vorfällen an der Grenze, ebensowenig von den Ereignissen der letzten Woche, welche die hohe Regierung unseres Nachbarlandes zu dem schweren Verdacht veranlaßt haben. Außer dem Umstand, daß sämtliche dieser Verbrechen mit einer Axt vollbracht worden sind, sehen wir keinerlei Zusammenhänge, die auf eine verschwörerische Einmischung in die inneren Angelegenheiten unseres Nachbarlandes schließen lassen; der Vorwurf, der die freundliche Beziehung zwischen unseren Völkern gefährdet, wird von unserer Regierung auf das entschiedenste zurückgewiesen. Unsere Regierung ist glücklich, daß sie Ihre zahlreiche Delegation hat empfangen dürfen, insbesondere auch die Herren aus dem Ministerium des Innern, aus dem Ministerium für Volkswirtschaft, aus dem Ministerium für Landesverteidigung. – Ich bitte nun die Herren, Ihre allfälligen Fragen an den Häftling persönlich vorzubringen.«
    Der Mörder steht wie zuvor, reglos, das linke Bein auf dem Boden, das andere auf der Pritsche, so wie er aufgesprungen ist; die Kette von Handgelenk zu Handgelenk. Man wartet auf dieFragen. Es sind durchaus keine komischen Figuren, im Gegenteil; komisch ist höchstens, wo sie das Übel suchen.

Siebente Szene
    Es könnte in der Bretagne sein, vielleicht auch im Süden: durch eine Türe, die offensteht, sieht man das Meer, und das Schiff, das vor Anker liegt, ist das bekannte Wikingerschiff. Im übrigen ist es eine Hotelhalle, wie sie eben sind; vor einem Brett, wo die Schlüssel hangen, und vor einem Gestell, wo die Briefe warten, steht ein Concierge, der ein schwarzes Buch aufgeschlagen hat, und vor dem Buch steht ein Gendarm, der die Nase rümpft:
    »Graf von Öderland?«
    »Mit Gräfin – ja.«
    »Seit drei Wochen? Und keine Meldung, keine Papiere, nichts?«
    »Natürlich hat er Papiere …«
    »Wo?«
    »Wir sind ein Grand Hotel, sage ich noch einmal, nicht eine Kneipe für Landstreicher!«
    »Sie wissen, daß Sie strafbar sind?«
    »Strafbar ist man immer … Herrgott nochmal, soll ich die Herrschaften denn überfallen? Oder wie? Schon am ersten Abend sagte ich, der Herr Graf möge uns gelegentlich die Pässe geben –«
    »Gelegentlich.«
    »Kaum sind die Leute da, kaum haben sie verschnauft –«
    »In drei Wochen: kaum verschnauft, das muß eine anstrengende Reise gewesen sein, gewissermaßen ein Galopp …«
    Der Gendarm, als der andere nicht lacht über seinen entgegenkommenden Spaß, nicht einmal lächelt, kann nicht anders, als daß er sich ganz auf den amtlichen Ton zurückzieht, und zwar endgültig:
    »Wenn die Papiere bis morgen nicht in unserer Hand sind, spätestens bis morgen um diese Zeit –«
    »Aber natürlich!« sagt der Strafbare: »Ich werde die Herrschaften bitten, sobald sie vom Golf zurückkommen, das ist ja klar, aber ich kann doch nicht mit dem Buch auf die Golfwiese gehen, ganz abgesehen davon –«
    Der Gendarm ohne Mütze:
    »Ein vorbildliches Hotel!« lacht er und trocknet den Schweiß aus seiner Mütze: »Das möchte ich auch einmal erleben, wahrhaftig – da kann einer kommen und sagen, ich heiße Graf von Sowieso, und alles ist gut, drei Wochen sitzt er in den besten Zimmern, die man hat, man bringt ihm das Frühstück ans Bett – kein Papier und nichts, keine Unterschrift … und jedermann glaubt ihm, daß er kein Landstreicher ist –«
    »Landstreicher spielen nicht Golf.«
    »Das möchte ich auch einmal erleben!«
    »Offen gestanden«, tröstet ihn der Concierge, vertraulicher, da er plötzlich einen Menschen ohne Mütze sieht: »eine Zeitlang haben wir uns selber Sorge gemacht, so in der zweiten Woche, muß ich sagen –«
    »Wegen der Papiere?«
    »Wegen der Rechnung –«
    Der Gendarm setzt die Mütze wieder auf:
    »Die hat er auch nicht bezahlt?«
    »Wenn einer sich eine Yacht kaufen kann, wissen Sie – man hört so allerlei, wenn man den ganzen Tag in dieser Halle stehen muß – und überhaupt, seit er Golf spielt, sind wir beruhigt; sie sagen sogar, er spiele vortrefflich, und ob einer ein wirklicher Graf ist oder nur so tut, ob einer verheiratet ist oder nur so tut, uns

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