Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
dieser Erde, kreuz und quer, wir lebten von Fischen und Früchten, die wir an den Küsten holten, wir lebten von der Jagd, und wenn wir das Nötige hatten, segelten wir weiter … ja – und dann!«
»Und dann?«
»Dann, plötzlich, war es ein Spielzeug: so groß –«
Er zeigt es.
»Man konnte es in die Hand nehmen, mein Schiff, wo ich Kapitän darauf war; man konnte es auf einen Tisch oder eine Truhe stellen.«
»Gräßlich!«
»Ja«, lächelt er hämisch: »aber so ging es mir immer …«
Dann kommt der Vater herein; er sagt nicht guten Morgen, sondern schaut nur auf das Kind mit stummer Frage, ob dieSuppe bereit sei, halb schon mit Vorwurf, und erst wie er den Fremden bemerkt, sagt er:
»Da wäre die Axt, wenn der Herr noch Lust haben – bei diesem Wetter … Holz hat es genug, wie ich gestern schon sagte –.«
»Danke.«
»Ich heiße Jens.«
»Freut mich.«
»Und Sie …?«
Der Fremde steht mit der Axt, die er eben in die Hand bekommen hat, betroffen von der Frage, ebenso betroffen von dem Mädchen, das für ihn antwortet und sagt:
»Graf von Öderland.«
»Graf –«
»Warum starren Sie mich so an?« sagt der Fremde, »Sie sagten doch gestern, Sie fürchten sich nie –.«
»Graf von Öderland??«
Der Vater weicht langsam von dem Fremden zurück, der da steht mit der Axt in der Hand, so, daß gewissermaßen ein Raum entsteht um diese Axt, die auch ihrem Träger, der sie kaum anzusehen wagt, mit jedem Atemzug gegenwärtiger wird –
Inge spricht über den Herd:
»Eines Morgens aber,
wenn ich die Knüppel bringe,
wenn ich die Hühner füttern soll,
wie immer und immer,
wenn alles von vorne beginnt:
da steht er im Zimmer,
plötzlich,
der Graf von Öderland!
Da steht er und hat eine Axt in der Hand,
und wenn mein Vater mich schimpft
wie immer und immer,
dann spaltet er ihn wie ein Scheit:
wir gehen hinaus in die Welt,
und jedermann fällt,
der uns die Wege verstellt,
Graf Öderland kommt mit der Axt in der Hand.«
Vielleicht singt sie es sogar; der Vater aber, der auf die Knie bricht, schreit plötzlich wie ein Tier, beide Fäuste vor dem Gesicht –.
Vierte Szene
Wir sehen das Arbeitszimmer des verschollenen Oberrichters. Zwei Wände davon sind voller Ordner, alle schwarz und alle mit weißer Etikette. Außer dem Schreibtisch, der schräg im Raume steht, gibt es eine behagliche Ecke mit Ständerlampe und gediegenen Polstersesseln; auch an einem schönen Teppich fehlt es nicht … Es stehen drei Leute in diesem Raum: die Gattin des Verschollenen, schlank, eine nervöse Eleganz, und Doktor Hahn, der sich abseits hält und eine Zigarette raucht, als lausche er nicht über seine Schulter zurück auf jedes Wort, das gesprochen wird; der dritte nämlich, der mitten im Raume steht, ist eine sonderbare Gestalt, ein kleiner und häßlicher Mann mit einer theatralischen Mähne, die man nicht berühren möchte, und seine Hände, da die Rockärmel zu kurz sind, wirken wie Flossen, wenn er sie in die Hüften stemmt, oder manchmal nimmt er sie auch ans Kinn, als prüfe er, ob er ordentlich geschabt ist; mit einem Lächeln, das ebenso zerstreut wirkt wie seine Gebärden, sagt er mehrmals:
»Aha … aha … aha …«
Wenn er dann ein paar Schritte geht, weicht die Gattin jedesmal zurück, damit die Entfernung bleibt; sein Gang hat etwas Tänzelndes, wenigstens in seinen kurzen Beinen, wogegen der Rücken senkrecht bleibt; er steht nun endlich vor einer Wand, die er betrachtet, als schaue er da durch ein Fenster, und man sieht ihn von hinten, wieder mit seinen Flossen über den Hüften.
»Das also war sein Arbeitszimmer?«
»Ja.«
»Aha …«
»Wie gesagt.«
»Und das sind lauter Ordner?«
»Ja.«
»Fälle?«
»Wie meinen Sie?«
»Fälle meine ich, Mord, Überfall, Notzucht, Erpressung, Unterschlagung, Ehebruch –«
»Jaja«, sagt die Dame: »jaja.«
Er schaut auf die Etiketten:
»Sehr ordentlich, sehr ordentlich.«
Dann wendet er sich weiter …
»Daß mein Mann sehr ordentlich war«, sagt die Dame mit dem scharfen Lächeln einer Gekränkten: »das ist nichts Neues; das ist in der ganzen Stadt bekannt.«
»Und was ist das?«
»Was?«
»Hier auf dem Schrank?«
»Ach«, sagt die Dame mit der nervösen Eleganz: »nichts Besonderes …«
»Ein Schiff?«
»Eine Spielerei, ein Familienstück, ein Nippzeug …«
»Aha.«
»Das findet man oft.«
»Eine Art von Wikingerschiff?«
»Vielleicht …«
»Mit Segeln aus Pergament.«
Dann wendet er sich:
»Und was für Räume
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