Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
der Grenzen und Marken, der Gesetze und Schranken und Steuern –«
Das alles sagt er ganz beiläufig, wie man einen alten Witz erzählt, plaudernd, während er den Vertrag unterzeichnet, er tut es in der Art eines Mannes, der sehr viel unterzeichnet hat; er schraubt seine Füllfeder zu, schaut, ob die Schrift schon trocken sei – das Schiff, das er mit dieser Unterschrift erworben hat, befindet sich nicht mehr im Hafen, wo man es vor Anker liegen sah, sondern es steht auf dem Tisch, wohin der andere es unterdessen gestellt hat, und als der Graf aufblickt, indem er gerade die Füllfeder einsteckt, sieht er das bekannte Wikingerschiff mit den pergamentenen Segeln … er schweigt, reglos blickt er auf das Ding; man sieht nur, wie er atmet.
Das Radio spricht:
»Beim dritten Ton ist es genau zwölf Uhr – zehn Minuten – zwanzig Sekunden … Sie hören die Nachrichten aus dem Ausland: –«
Langsam hebt er seinen Blick; er betrachtet die beiden, die ihm gegenüber sitzen, und endlich sagt er:
»Doktor Hahn?«
»Ja –.«
»Also doch«, wendet er sich zu Inge: »Ich hatte oft den Verdacht, daß die beiden ein Verhältnis haben –«
Elsa kann sich nicht halten:
»Du mußt etwas sagen, gerade du, der mit dem Dienstmädchen herumreist!«
Hahn faßt ihren Arm:
»Darum geht es jetzt nicht.«
»Sondern?«
Der Graf erklärt es ihr:
»Man will mich verhaften –«
Dabei nimmt er seine Ledermappe:
»Aber es wird nicht gelingen.«
Ohne besondere Hast nimmt er die Axt heraus, so wie man Akten herausnimmt, gelassen und schon gelangweilt von der Gewöhnung; zwei oder drei Atemzüge lang schauen sie ihm zu, als glaubten sie es nicht; dann springen sie auf, wie von ihrem eigenen Schrei emporgerissen –
Inge sagt:
»Warum zögerst du wieder?«
Das Radio sagt:
»Aus Haifa wird gemeldet, daß ein weiteres Schiff mit jüdischen Einwandrern, die nach Palästina wollen, an der Einfahrt verhindert werden mußte. Das Schiff liegt mit leichter Schlagseite auf offener See. Infolge dieser Nachricht sind neue Unruhen ausgebrochen; jüdischen Terroristen ist es gelungen, einige Öltanks mit Bomben anzugreifen; das Feuer, das bisher nicht einzudämmen war, nimmt immer größeren Umfang an.«
Doktor Hahn ruft nach dem Gendarm –
Das Radio sagt:
»In mehreren deutschen Städten sind die Grubenarbeiter neuerdings in den Hungerstreik getreten; die Zufuhr von Kartoffeln soll beschleunigt werden, soweit die Verkehrswege es gestatten; falls es zu weiteren Ausschreitungen kommen sollte, sähen sich die Behörden gezwungen, das Standrecht anzudrohen.«
Doktor Hahn ruft nach dem Gendarm –
Das Radio sagt:
»Aus den Vereinigten Staaten kommt die Nachricht, daß die Neger weiterhin zu Versammlungen aufrufen, die an die Hunderttausende gehen; in einzelnen Gegenden soll die drohende Haltung, welche die Neger einnehmen, bereits zu blutigen Zusammenstößen geführt haben.«
Doktor Hahn ruft den Gendarm –
Inge:
»Graf Öderland geht um die Welt,
Graf Öderland geht mit der Axt in der Hand,
Graf Öderland geht um die Welt!« Usw.
Genua, Oktober 1946
Endlich wieder einmal das Meer! Wir sind selig. Wir haben ein Zimmer im obersten Stock und es fehlt nicht der Mond, der uns das Meer beglänzt, damit wir es um Mitternacht noch sehen können. Wir haben sogar, wie ich später entdecke, einen kleinen Balkon. Als ich hinaustrete, um einmal hinunterzuschauen in die nächtlichen Gassen von Genua, hinunter in diese Schluchten voll lärmender Stadt, gewahre ich erst die Leere, die neben uns klafft: die Trümmer sind gänzlich geräumt, vorbildlich, man sieht bis in den Keller hinunter, und leider sage ich es Constanze, wie es aussieht jenseits der Wand, die mit blumiger Tapete, sogar mit Bildern geschmückt, zu Häupten unseres Schlafes steht –.
Der Brief eines Freundes rührt einmal mehr an die Frage, ob es zur Aufgabe irgendeiner künstlerischen Arbeit gehören kann, sich einzulassen in die Forderungen des Tages. Daß es zur bürgerlichen und menschlichen Aufgabe gehört, daran läßt sich kaum zweifeln. Das Kunstwerk aber, schreibt er, müßte sich darüber erheben. Vielleicht hat er recht; aber das entschiedene Nein, das er auf seine Frage gibt, ist nicht minder gefährlich als das Ja. Die beste Antwort, die mir in dieser immer wieder bedrängenden Frage bekannt ist, stammt von Bert Brecht:
»Was sind das für Zeiten, wo das Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten
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