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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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bald auf den Grafen, bald auf die Gräfin; er möchte lachen, als machten sie nur einen Scherz, aber das Lachen verstummt ihm im offenen Mund, und es läßt sich nicht aufhalten, daß er selber daran glauben muß; befremdet von seinem eigenen Glauben, fast entsetzt, daß es möglich ist, sucht er nach Hindernissen:
    »Ja, wenn man bloß Urlaub hätte –.«
    »Nichts leichter als das.«
    »Und die Erlaubnis zur Ausreise –.«
    »Nichts leichter als das.«
    »Meinen Sie?«
    »Im Ernst, nehmen Sie eine Axt.«
    »Wie der in der Zeitung, ja …«
    Inge unterbricht:
    »Man sollte mit diesen Dingen nicht scherzen –«
    Der Gendarm hält zum Mann:
    »Herr Graf haben aber ganz recht! Manchmal kommt man wirklich auf solche Gedanken, auch wenn es nicht in der Zeitung stünde, aber zum Glück hat man nicht immer eine Axt in der Hand –.«
    »Ich habe immer eine.«
    »Aber Karel!«
    »Hier in der Mappe.«
    Der Gendarm lacht.
    »Ich könnte nie einen Menschen töten«, sagt der Graf: »aber einen Zöllner ohne weiteres, einen Gendarm ohne weiteres …«
    Der Gendarm lacht noch mehr.
    »Überlegen Sie es sich bis morgen, das wegen der Yacht. Ob Sie ein Mensch sein wollen oder ein Gendarm, ob Sie leben wollen oder nicht. Spätestens bis morgen um diese Zeit.«
    Sie gehen in die Bar.
    Die Musik wird lauter, doch bleibt sie verschwommen, ein Lullen, das die Worte mit einer sinnlichen Stimmung umschwemmt, wie man das kennt: man kann lauter banale Worte reden, hat aber das Gefühl, man rede ganz aus der Tiefe eines vollen Herzens; auch das Gespräch geht wie auf einem weichen Teppich …
    Der Gendarm draußen:
    »Humor hat der Mensch!«
    »Und die Papiere?« fragt der Strafbare: »Warum haben Sie ihm nicht die Papiere verlangt?«
    »Bienenzüchter! Reitmeister!«
    »Ich frage nach den Papieren –«
    »Wenn man so denkt, was man anfangen könnte mit seinem Leben, Matrose auf einer Yacht, die rings um die Erde segelt, und was man in Wirklichkeit ist – hier …«
    »Ein Gendarm –«
    »Ein Arschloch mit Mütze, ja.«
    »Pscht!«
    »Aber Humor hat der Mensch …«
    Unterdessen haben sich die Herrschaften begrüßt, wie sichfremde Leute begrüßen, die gleicherweise in einem Grand Hotel wohnen; eine gewisse Übereinkunft ist von vornherein da, und käme sie auch nur daher, daß man die gleiche Kost genießt. Gestern gab es Hummer beispielsweise, und wäre er schlecht gewesen, so hätte er die Herrschaften, woher sie auch immer kommen mögen, gemeinsam vergiftet. Irgendwie gehört man zusammen. Übrigens war der Hummer nicht schlecht. Viel Elend ist in der Welt, gewiß, aber es gibt Oasen, und ein Anflug von schlechtem Gewissen, worüber man nicht spricht, wirkt ebenfalls verbindend. Man weiß: das Schicksal, wie es auch verlaufen mag, wird uns ähnlich behandeln. Irgendwie gehört man einfach zusammen, was sich schon in den gleichen Manieren verrät, und ein gewisses Gefühl, daß man sich irgendwie schon kenne, kann also nicht verwundern …
    Sie setzen sich.
    Das Gespräch geht um die Yacht, die man draußen vor Anker liegen sieht, und um den Vertrag, den der Graf unterzeichnen soll, damit die Yacht fortan sein Eigentum wird; er hat bereits seine Füllfeder aus der Tasche genommen, der Graf, öffnet sie und hält sie in der Hand, indem er von der Südsee erzählt, als wäre er mehrmals dort gewesen:
    »Sie kennen die Südsee nicht?«
    »Nein –«
    »Ich finde sie das Schönste, was ich auf Erden gesehen habe …«
    Dann, bevor er unterschreibt, wirft er noch einmal einen kurzen Blick auf den Vertrag, übrigens zum erstenmal, und es bleibt fraglich, ob er wirklich den Text liest; seine Gebärde kommt nicht aus eigentlichem Interesse, sondern mehr aus Höflichkeit.
    »Eine gewisse Schwierigkeit«, sagt er: »besteht vielleicht darin, daß wir die Summe, die ich weiter nicht bereden möchte, leider nur in unserer Währung bezahlen können – in öderländischen Kronen … Wegen der Ausweise, welche die Hafenbehörde verlangt, müssen Sie sich keine Sorgen machen; ich werde die Ausreise schon bekommen –.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Sobald ich die Yacht habe, o ja.«
    »Man ist heutzutage sehr streng.«
    »Nichts leichter als das!« lächelt der Graf: »Wenn Sie keine Papiere haben, nehmen Sie eine Axt – haben Sie nicht die Zeitungen gelesen?«
    Sie schauen ihn an.
    »Ich habe immer eine bei mir …«
    »Aber Karel!«
    »Im Ernst«, sagt der Graf: »wo käme man hin ohne Axt? Heutzutage! In dieser Welt der Papiere, in dieser Welt

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