Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
einschließt.«
Am andern Morgen, um das Meer auch aus der Nähe wiederzusehen, gehen wir hinunter in den Hafen, der ebenfalls ziemlich zerstört ist. Ein versenktes Schiff, das nur mit Schlot und Masten aus den Wellen ragt, erinnert an den Traum damals in der Nacht um Würzburg. Fast eine Stunde schauen wir zu. Man ist dabei,es zu heben; eine riesenhafte Arbeit. Später hören wir, daß es ein Flugzeugträger sei.
Portofino Mare, Oktober 1946
Alles in allem ist es wie ein Spuk, man fährt sich über die Stirne, und wenn man aufschaut: das Meer – es brandet und tost, aber es ist zehn Jahre später, und man sieht es der Brandung nicht an, dem Wind nicht in den silbernen Oliven –
Das Kirchlein ist zerstört.
Wir sitzen lange auf einem deutschen Bunker, Ginster blüht um die rostenden Geschütze, eine Eidechse guckt aus der finsteren Mündung, und ohne Unterlaß rauscht es um die steilen Felsen. Es ist unser erster Abend, und draußen beim Leuchtturm, wo wir sitzen, sehen wir nichts als einen Horizont voll Wasser. Einmal kommt ein kleiner Kutter mit Fischern, die heimkehren; er rattert und pufft, und mit pendelndem Mast torkelt er unten an den Felsen vorbei. Das Meer erscheint wie dunkle Tinte, je tiefer die Sonne sinkt; mit gleißenden Schäumen rollen die Wellen über ihre eigenen Schatten –.
Café Delfino
Im Grunde geht es wahrscheinlich darum, was wir eigentlich als Geist bezeichnen. Eine Kunst, die nach oben ausweicht, ist sicher nicht, was dieser Brief meint. Aber die Angst vor einer solchen Kunst, die das Höchste vorgibt und das Niederste duldet, ist vielleicht der Grund, warum ich einem solchen Brief nicht beistimmen kann, sooft ich ihn auch lese. Diese Angst ist nicht aus der Luft gegriffen. Ich denke an Heydrich, der Mozart spielte; als Beispiel einer entscheidenden Erfahrung. Kunst in diesem Sinne, Kunst als sittliche Schizophrenie, wenn man so sagen darf, wäre jedenfalls das Gegenteil unsrer Aufgabe, und überhaupt bleibt es fraglich, ob sich die künstlerische und diemenschliche Aufgabe trennen lassen. Zeichen eines Geistes, wie wir ihn brauchen, ist nicht in erster Linie irgendein Talent, das eine Zugabe darstellt, sondern die Verantwortung. Gerade das deutsche Volk, dem es nie an Talenten fehlte und an Geistern, die sich der Forderung des gemeinen Tages enthoben fühlten, lieferte die meisten oder mindestens die ersten Barbaren unseres Jahrhunderts. Müssen wir davon nicht lernen?
Am Strand
Jeden Morgen, wenn wir an den Strand gehen, kommen wir an den Arbeitern vorbei, die den Mörtel mischen oder die Ziegel tragen; sie haben rote Kopftücher, vom Staub in ein blasses Rosa verwandelt. Ein Kind, das den Eimer kaum über den Boden heben kann mit seinen kurzen Armen, bringt ihnen das nötige Wasser. Es geht um die Mole, die von zwei oder drei Bomben zerstört ist; nicht um die Arbeit als Tugend und Lebenszweck. Sie kommen sich nicht besser vor als die andern, die unter den Bögen stehen und schwatzen. Es ist nicht der letzte Sinn ihres Tages, was sie da machen, und sie machen es vortrefflich, aber immer so, wie man vielleicht eine Sonnenblume bindet oder einen Gartensessel flickt, immer im Hinblick auf das Leben, das man sich einrichtet und schmückt, ein Leben, das sich lohnt. Nicht einen Augenblick bringen wir es auf das verwegene Gefühl, daß wir, weil wir gerade Ferien machen, freier wären als diese Leute, reicher an Leben, glücklicher als irgendeiner, der an uns vorbeigeht, barfuß-lautlos, zerlumpt, aufrecht und gelassen, ein Mensch, herrlich und gegenwärtig, ein König an Zeit –.
Manches erklären vielleicht schon die Früchte, die schwarzen Oliven, die auf der Erde liegen, die letzten Feigen, überreif und violett. Man hat den Eindruck, hier reifen die Früchte nicht als Lohn, sondern als Geschenk, und es verwundert nicht, daß hier der Mensch entstanden ist. Hier lebt er nicht aus Trotz gegen eine Schöpfung, die er täglich überlisten muß, damit sie ihn nichtvertilgt; er lebt nicht aus Mut, nicht aus der schalen Freude an täglicher Überwindung, nicht aus Tugend, sondern aus Freude am Dasein, harmloser und heiter. Das Geschenk, das hierzulande an den Bäumen wächst: die Erlösung von der Angst, die Zuversicht für morgen, die Erlaubnis zur Muße.
Das Meer ist warm, aber es geht schon ein frischer Wind, man sucht die Sonne, wenn man geschwommen ist. Auch der Sand, wenn man sich eingraben möchte, erinnert an Herbst; er bleibt an der Haut, kühl und feucht, und
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