Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
schuld sind, daß Österreich auf der mißlichen Seite liegt, nimm sie auf die leichte Schulter; die andere Schulter gewöhne dir ab; versuche auch du entzückend zu sein. Bist du in der Oper gewesen? Die Oper ist großartig. Mozart vor allem, solche Aufführungen gibt es nur in Wien. Siehst du! Man muß sich überall an das Beste halten, an das Erfreuliche, an das Wohle. Hast du die Ausstellung vom alten Wien gesehen? Das Zimmer von Grillparzer, den Schreibtisch von Nestroy, das Bett von Metternich, ich hab's gesehen; ein Magistrat, ein Linksmann, hat es uns an seinem freien Sonntagmorgen persönlich gezeigt; man ist wirklich entzückend; morgen sollen wir einen Dienstwagen bekommen, wir sollen unbedingt hinaus nach Schönbrunn –
Im Prater waren wir schon.
Das Riesenrad, wovon unsere Mutter oft erzählt hat, ist wieder in Gang. Wir haben nicht versäumt, es zu besteigen, langsam emporzufahren in einen Abend voll regnerischer Dämmerung. Der Blick auf die graue Stadt, die schwarzen Türme, die ferne Donau, die immer schon an Balkan erinnert – und unter uns also der Prater: da und dort ein Bombentrichter, ein Tümpel mit braunem Wasser, das nicht ablaufen will, oder vielleicht, denke ich später, waren es auch nur Baumlöcher, Gruben von verheizten Bäumen, dann eine Ruine ohne Dach, so daß man von oben hineinguckt, Unkraut und Gras auf den Wegen und Plätzen, eine Tafel erinnert an frische Würstl, irgendwo die Überreste eines Karussells, eine kaputte Rutschbahn, wo man ins Leere rutschen kann. Ich dachte an den baumlosen Tiergarten in Berlin; dortsind es die Kurfürsten, die Historie, hier das Tingeltangel, das versteppt. Außer einer drollig-moppigen Frau, die uns die Kabine öffnete, ist kein Mensch zu sehen, irgendwo hört man einen Lautsprecher, der laut und blechern in den Abend dröhnt, während es langsam zu regnen beginnt; ein Walzer, ein sehr bekannter …
Drei volle Tage unterwegs, hin und her mit Taxameter und Straßenbahn, beraten und begleitet von einer angesehenen Wienerin, die alles einsetzt, ihren Namen, ihre eigene Zeit, ihre Ellbogen, ihre Weiblichkeit, um den Stempel zu erkämpfen, den wir zur Weiterreise brauchen, einen Vermerk, der in Bern von alliierter Seite vergessen worden ist; Vorzimmer, Schranken, Korridore, Schlangen von Menschen, Formulare in siebenfacher Ausfertigung; die österreichischen Beamten sind freundlich, auch als unsere Zigaretten längst zu Ende sind, helfen, soweit sie können; unsere Gesandtschaft hilft mit begleitendem Schreiben, mit Anrufen, die Hoffnung geben, aber das ist auch alles; ich weiß nicht, wie oft wir den läppischen Fall erklärt haben, den Hut in der Hand, immer gegenüber einem andern Menschen, der nicht zuständig ist, zuständig sind Rußland, Frankreich, Amerika, England, und zwar gemeinsam, nur gemeinsam, und ohne den Stempel bin ich zwar in Wien, kann aber Wien nicht mehr verlassen – das Ganze war sehr interessant, aufregend langweilig, aber aufschlußreich, endend bei einem Hauptmann, dem ich noch jetzt, wo ich den Stempel habe, eine kleben möchte.
(Jede Uniform verdirbt den Charakter.)
Die Tageszeit, die Wien am besten steht: die Dämmerung, die abendliche, das graue Violett schöner Fassaden, die hinter alten Bäumen stehen, etwas Schnee auf den Dächern, die scheinlose Helle früher Bogenlampen, Umrisse von Barock, ein Brunnen mit verstummten Röhren, Laub in der Schale, drei steinerne Putten mit Flöte, Stille, Dämmerung, Menschen gehen schräg durch einen Park, ihre Hände in den Manteltaschen, ein Tor aus kunstvollem Schmiedeeisen, Fluchten, weit und festlich, alles etwasdenkmalhaft, etwas dornröschenhaft, es läßt sich von der Straßenbahn nicht stören, auch nicht von einem polternden Lastwagen mit Anhänger, alles wie hinter einem violetten Schleier …
Kaffeehaus.
Amerikanische Soldaten treffen ihre Mädel. Täglich zwischen sieben und acht. Sie kommen herein, lassen die Mädchen stehen, indem sie untereinander plaudern, die Hände in den Hosentaschen, die Mützen in der Stirn. Die Mädchen wissen nicht recht, ob sie sich setzen sollen oder wie; sie wagen nicht, etwas zu bestellen. Alles andere als Kokotten von Welt. Arme kleine Bummerl, die man sich als Näherinnen denken kann, als Zimmermädchen, denen der Lohn nicht reicht wie den meisten. (Die Bahnarbeiter, lese ich eben, können ihre Lebensmittelkarte nicht einlösen.) Meistens sind sie dick, diese Mädchen, bleich und etwas schwammig, nur sehr
Weitere Kostenlose Bücher