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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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des Handwerkers, im Gegensatz zum Arbeiter, erscheint mir immer wieder der Schreiner; der natürliche Rohstoff, das Holz, das nicht aus einer Fabrik kommt, und dann vor allem der Umstand, daß der Schreiner nicht Teile herstellt, die weitergehen, sondern ein Ganzes, ein Fertiges, ein Werk, das er im wesentlichen durchaus als das seine ansprechen kann. Anders die Leute, die mit Metall arbeiten; auch ihre Arbeit, die Montage, hat durchaus noch das Erfreuliche, daß sie das Ergebnis eines langen Arbeitsganges erleben, auch das Ingeniöse, das Unterhaltende, daß sich ihre Aufgabe in jedem Bau etwas anders stellt, das Anreizende, daß man Ideen haben kann, und doch ist das Wesen aller, die mit Metall arbeiten, schon aschenhafter. Was sie in die Hand bekommen, sind immer schon Fabrikate. Und das Ergebnis: die Wasserspülung geht, ihre Arbeit ist wichtig, sonstwürde sie ja nicht bezahlt, aber sie hat nie die Gloriole eines eignen Werkes. Der Arbeiter sagt: Im Hallenbad habe ich auch gearbeitet. Der Handwerker sagt: Im Hallenbad habe ich die Geländer gemacht. Der Unterschied auch in der Art, wie sie dem Architekten gegenüber stehen; der Handwerker fühlt sich durchaus als Kollege, und unser Gespräch ist meistens ersprießlich; der Arbeiter gehorcht – willig oder unwillig – im Grunde meistens ahnungslos, was der Architekt eigentlich arbeitet. Pläne, ja, aber die läßt er ja auch von anderen zeichnen! Wenn ich ihm erläutere, daß der Entwurf nicht vom lieben Gott kommt, und wenn ich ihm auf einem Zettel zeige, wie verschieden man entwerfen kann, wieviel Fehler zu meiden und wieviel Erfordernisse zu lösen sind, bevor er sein Parkett verlegen kann, ist er aufrichtig verblüfft:
    »Ja, das ist eigentlich wahr«, sagt er: »daran habe ich noch nie so gedacht –.«
    Dabei hat er graues Haar.
    »Wissen Sie«, sagt er: »auch ich habe eigentlich etwas ganz anderes werden wollen –«
    »Nämlich?«
    »Kunstmaler.«

Café Odeon
    Die Teilung Deutschlands, seit Kriegsende vorhanden, ist nun verkündet und vollstreckt – es liest sich wie die Exposition eines Dramas.

Unterwegs
    Gestern vormittag im Odeon höre ich, wie jemand am Nebentisch meinen Namen sagt, viel Genaues höre ich nicht, sehe aber, daß der Mann, der mich persönlich nicht kennt, mit dem Namen einen deutlichen Haß verbindet, nicht nur Geringschätzung,sondern Haß. Soll ich mich vorstellen? Ich tue es nicht, zahle, nehme den Mantel und gehe. Man haßt sich selber nicht selten. Dennoch, zeigt sich, bin ich betroffen, wenn ich diesen Haß an einem andern sehe, einem Fremden. Dabei ist es ganz erklärlich; wenn man selber gewisse Leute haßt, keinen Hehl macht aus seinem Haß, kann das Echo nicht ausbleiben. Trotz dieser Erklärung ist es mir unmöglich, wieder an die Arbeit zu gehen. Das Selbstgefällige, das in solcher Verblüffung liegt, ist mir bewußt. Am Nachmittag ins Kino. Kein geschriebener Satz ist möglich. Nicht einmal ein Gedanke, ohne daß ich das Mißdeutbare sehe; aber mehr als das: es braucht gar keine Mißdeutung, um hassenswert zu sein. Der Mann, ohne daß ich seine genauen Worte gehört habe, hat recht. Es gibt kein Argument gegen einen Haß. Dabei wird mir fast zum erstenmal bewußt, daß man immer, wenn man schreibt, eine Sympathie voraussetzt. Vielleicht geht es ohne diese Voraussetzung überhaupt nicht, aber es ist gut, um diese Voraussetzung zu wissen, und man müßte froh sein um einen solchen Schock, ein solches Signal –.

Paris, Juli 1948
    Quatorze Juillet … Netter kann man nicht empfangen werden. Am Vormittag, kaum bin ich angekommen, gibt es eine Parade, aber ich habe nur die Geschwader gesehen, die mit bekanntem Brummen die eigene Stadt überfliegen, später ein Korps von Bläsern, die sich in einem Park aufstellen, schmuck, alle mit weißen Gamaschen und weißen Gürteln, die Clairons blinken, jedes mit einem Wimpel daran, der Tambourmajor hat einen verzierten Stab, den er bravourös in die sommerlichen Lüfte zwirbelt, zirkushaft. Ich habe gewartet, bis es losging: Le jour de gloire est arrivé! Ich kann's nicht hindern, die Marseillaise geht mir nun einmal durch Mark und Bein. Einige Schritte gehe ich mit. Le jour de gloire est arrivé! Auf dem Platz der Bastille finde ich ein großes und wogendes Gemenge, ein klingelndes, flitterndes, hupendes, summendes, dröhnendes Tingeltangel. An Trikolorenfehlt es nicht. An einer Straßenecke blüht sogar ein frisches Kränzlein; drei Namen in Stein: Fusillé par les Allemands.

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