Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
Ich denke an Ernst Jünger. Einem Mädchen zuliebe, das einen Freund hat, fahre ich dreimal mit den kleinen Automobilen; eigentlich mir zuliebe, denn ihr Gesicht, wenn wir einander rammen, ist köstlich. Bald fangen auch andere an, es gibt eine Rammerei, bis die Bude einfach den Strom abstellt, und später, als ich sie schon verloren glaube, finde ich sie noch einmal auf einer Schaukel wippend, bis das Schifflein an das Zelt schlägt, wippend mit flatterndem Rock, herrlich. Ein heißer Tag, Glast über den Dächern; man denkt immer an Maler, so, als hätte Paris sich den Farben berühmter Paletten angepaßt. Hernach gehen sie in die Metro, das Mädchen und ihr Freund. Ich ebenfalls. Bummel im Bois de Boulogne, wo ich ein Boot nehme, sehr zufrieden, sehr glücklich, allein, kein Mensch kann wissen, wo ich bin. Ich liebe die Großstädte immer mehr. Ein Luftballon, ein silberner, hangt im Himmel. Am Abend gibt es ein Feuerwerk, Tanz auf der Concorde, Menschen, was man an Menschen nur erfinden mag: Kleinbürger, Großstädter, Familien, Außenseiter, Mütter mit Kind, Kokotten, Töchterchen mit Offizier, Fremde, Soldaten von der Marine, alles tanzt. Vagabunden mit buntem Trikot hocken auf ihrem Rad, einen Fuß auf den Randstein gestemmt. Kann man sagen, daß die Leute sehr fröhlich sind? Immerhin wird getanzt, und es strahlen die Bogenlampen, von Faltern und Mücken umwimmelt, Lautsprecher jazzen aus nächtlichen Bäumen. Sterne sind auch da. Man schleckt ein Eis, der behende Verkäufer hat alle Hände voll zu tun. Le jour de gloire est arrivé. Die Champs Elysées hangen aus der Nacht herunter wie eine glitzernde Perlenbrücke, in der Ferne ganz schmal, dort, wo sie aus dem Triumphbogen mündet. Sehr schön. Irgendwo steige ich in den Boden, nehme die Metro, bloß weil ich sie mag, und fahre irgendwohin. Wieder an der frischen Luft, ich weiß nicht wo, empfängt mich abermals Musik, Tanz, denn auch hier ist Quatorze Juillet, Tanz auf offener Straße, Tischlein, Kellner in weißen Schürzen, hemdärmlig, eine Kapelle unter Lampions, alles etwas verschlissen, etwas ärmlicher. Aber wunderbar, geradehinter meinem Sessel, unsäglich wunderbar tanzt eine junge Chinesin. Ihre schwarzen Wattehosen, der Mond ihres stillen Gesichtes, das verliebt ist; sehr schön. Dazu die Leute aus dem Quartier, Krämer, Schuster, Antiquare, Metzger, Beamte, was weiß ich. An der Ecke hängt wieder ein Kränzlein: Tombé pour la libération de Paris. Hier bleibe ich. Neben der Kapelle sitzen drei Mulattinnen, alle in knallgrüner Seide; ich sehe ihnen an, daß sie unvergeßlich sind. Sie rauchen aus langen weißen Röhrlein. Ein Soldat, ein riesenlanger, kann nicht mehr stehen, wenn sich nicht jemand erbarmt und mit ihm tanzt; die Leute weichen, als wäre er der Tod, und er stolpert über den Randstein. Schließlich tanzt ein Mann mit ihm. Die drei Mulattinnen sitzen und rauchen, Tierlein, die Ohrringe tragen, stumm und schön, schrecklich, geheimnisvoll, Geschöpfe. Das alles haben die Deutschen einmal erobert, es ist gar nicht lange her. Haben sie es wirklich erobert? Ich bleibe lange über Mitternacht. Vielleicht gibt es Städte, die nicht mehr zu erobern sind; sie können höchstens untergehen. Einmal tanzen auch die Mulattinnen, nicht wild, ganz gesellschaftlich, die weißen Röhrlein im Mund; nur ihre Arme sind Schlangen. Eine Gruppe von Studenten, Arm in Arm, wirkt etwas störend, Eindringlinge, kindisch, nicht jung. Jung ist die Chinesin; wunderbar, wie sie ihren hageren Chinesen liebt …
Autobiographie
(Ich sitze im Park von Versailles, hier, wo Fürsten ihre sommerlichen Serenaden hatten. Springbrunnenstille. Die Lust, Paris zu skizzieren, erstirbt doch immer wieder im Bewußtsein, wer alles es schon getan hat und dazu meisterlich. Kaum in Briefen wagt man es, jeder kennt es, jeder liebt es, die Luft ist voll vom Gespräch erlauchter Geister, die keinen Partner brauchen. Am Vormittag war ich an der Seine, Bücher blätternd, wie es Millionen vor mir getan haben. Es gibt nichts in dieser Stadt, was nicht Millionen schon getan haben, gesehen, gemalt, geschrieben, gelebt.So, auf mich selbst verwiesen, schreibe ich heute über mich selbst.)
Geboren bin ich 1911 in Zürich. Unser Name ist nicht schweizerischen Ursprungs. Ein Großvater, der als junger Sattler einwanderte, brachte ihn aus der österreichischen Nachbarschaft; in Zürich, wo es ihm anscheinend gefiel, heiratete er eine Hiesige, Naegeli mit Namen, Tochter einfacher
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