Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
wild und furchteinflößend … nun so wunderschön.
»Ich habe mehr Zeit damit verbracht, mich nach dir zu sehnen, als ich tatsächlich mit dir zusammen war«, begann ich. »Ich habe mich schon langsam gefragt, ob ich mir vielleicht nur etwas vormache und ob du mich wirklich noch holen kommst. Und ob ich mir vielleicht nur einbilde, dass da etwas zwischen uns ist.«
»Menschen. So unsicher. Und so wenig Glaube.«
Ich lächelte trotz meiner Schmerzen. Etwas ernster fuhr ich fort: »Es tut mir leid, dass deine Freunde getötet wurden. Ehrlich.«
Sie nickte und drehte ihren Kopf ein wenig. Ich wollte sie sagen hören, dass es ihr auch um die Verdammten leidtat, die hatten leiden müssen. Die durch ihre Hände hatten leiden müssen. Und sie sah tatsächlich so aus, als wolle sie es sagen, aber sie tat es nicht. Ich glaube, dass sie durchaus so empfand, aber zu verwirrt von diesem Gefühl war und zu großen Stolz als Kriegerin verspürte, um eine solche Schwäche tatsächlich zugeben zu können.
»Schlaf jetzt«, sagte sie. »Ich werde hier sein, wenn du aufwachst.«
»Danke«, flüsterte ich. Ich streckte eine Hand nach ihr aus. Nach kurzem Zögern nahm sie sie in ihre und hielt sie so lange fest, bis ich in Schlaf sank.
Vierundsiebzigster Tag
Als Chara mir erklärte, dass die Schwarze Kathedrale neu programmiert werden musste, damit sie uns aus Oblivion hinausbringen konnte, stellte ich mir eine Art Computersystem vor. Als ich jedoch das Cockpit sah – wenn ich es denn so nennen soll – kam es mir eher wie eine Mischung aus dem Führerhaus einer alten Dampflokomotive, einem Heizraum und dem Innenleben einer riesigen Standuhr vor. Für die Neuprogrammierung mussten diverse Zahnräder, die in verschiedenen Metalltruhen lagerten, ausgetauscht und einige der Hebel umgelegt werden, die die Wand bedeckten. Ventilräder regulierten den Dampfstrom, und in einem dicken Glastank, der über einem Ring aus flackernden blauen Gasflammen erhitzt wurde, blubberte eine grünliche Flüssigkeit. Diese Flüssigkeit schien wie Blut über in den Wänden versteckte Rohre durch das gesamte wandernde Gebäude zu zirkulieren.
Im vorderen Teil dieses Raumes, der sich de facto im hinteren Bereich der Kathedrale befand, war ein einzelnes Buntglasfenster eingesetzt. Es war auf der Außenseite wie alle anderen rot, erlaubte uns von innen aber einen klaren, freien Blick auf den Weg, der vor uns lag. Wie schon in den Folterkammern, kam mir auch die Innenseite dieses Fensters eher wie eine Art Bildschirm vor.
Während meines kurzen Nickerchens hatte die Kathedrale bereits einen Großteil der Stadt durchquert und fuhr nun einen leichten Abhang zu den Tunneln unter den Straßen hinab. Ich fühlte mich an das U-Bahn-Netz erinnert, durch das ich damals die Avernus-Universität erreicht hatte.
Das Gebäude selbst war nicht erleuchtet, aber an den Wänden draußen flackerten von Gittern geschützte Gasflammen. Dadurch konnte ich die Schienen, die vor uns durch den kurvigen Tunnel führten, der in den offenbar sehr soliden, felsigen Untergrund gehauen war, im düsteren Schein ganz gut erkennen. Wir passierten einige abzweigende Tunnel, und hier und da führten Stege, manchmal auch Rohre oder Leitungen an den Wänden oder an der gebogenen Decke entlang. Einmal sah ich mehrere Gestalten über die Schienen huschen, die sich in der Mündung eines schmalen Wartungstunnels versteckten. Ganz sicher hatten eine Menge Verdammte dieses unterirdische Labyrinth zu ihrem Zuhause gemacht, da es hier unten weniger wahrscheinlich war, dass sie sich der Folter der Dämonen aussetzen mussten.
Die beiden Ingenieure, der Dämon Thamuz und die Dämonin Allatou, bereiteten sich darauf vor, die wandernde Kirche in der Nähe des äußersten Stadtrands von Oblivion zum Stehen zu bringen. Dort, flüsterte Chara mir zu, würden etwa zwanzig weitere Dämonen zusteigen, bevor wir unsere Reise fortsetzten. Ich sah den Ingenieuren dabei zu, wie sie Hebel drückten und an Rädern drehten, bis die Kathedrale schließlich in ihrem Schienenbett kreischte, erbebte und allmählich langsamer wurde.
Als ich zu Chara hinübersah und ihr seltsam flaches Profil und ihre vollen, runden Lippen bewunderte, spürte ich wieder diese vertraute Ehrfurcht, ja, sogar Furcht in mir, die sie in mir auslöste. Ich fragte mich, was für eine Beziehung wir tatsächlich würden führen können, wenn ich mich ihr gegenüber so viel schwächer und unterlegener fühlte, so gewöhnlich im Vergleich zu
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