Tagebuch der Apokalypse 01
des Lasters. Ich muss heute Nacht schlafen. Das Grundstück ist sicher ... Ich bin soeben das Risiko eingegangen, eine rezeptfreie Einschlafhilfe (nur die halbe Dosis) einzunehmen, um ein bisschen Ruhe zu finden. In den Nachrichten heißt es, dass in der Innenstadt jetzt das Kriegsrecht gilt. Ich wohne am Stadtrand. Wenn hier öfters Soldaten aufkreuzen, könnte es auch hier angewandt werden. Ach ja, die Staffel hat mich heute angerufen, aber ich bin nicht rangegangen. Mein kommandierender Offizier hat mir mitgeteilt, ich solle mich im Luftschutzkeller melden und ihn nach Erhalt dieser Botschaft sofort anrufen. Ja, klar, leck mich, Sir ... Ich merke, dass ich müde werde ...
14. Januar
8.15 Uhr
Meeresrauschen aus dem MP3- Player hat mich einschlafen lassen. Ich habe das Ding etwas lauter gestellt, damit es den Lärm von draußen übertönt. Bin gegen 3.00 Uhr aufgewacht und pissen gegangen. Hatte tatsächlich komplett vergessen, was überhaupt los war. Fühlte mich an meine Kindheit und Jugend erinnert, wenn irgendwas Übles passiert war, etwa ein Todesfall in der Familie. Auch da hatte es kurze Momente von Leichtfertigkeit gegeben, in denen mein Geist die Tragödie vergaß, bis die kalten und harten Fakten einen wieder einholten. In der Sekunde, in der ich die Hand ausstreckte, um den Fernseher einzuschalten, kehrte die Tragödie in mein bewusstes Denken zurück. Ich schaute mir pausenlos schwafelnde Köpfe an, die mich an ihren Theorien über Ursache und Wirkung teilhaben ließen. Die Börse ist auf einem Tiefpunkt, von dem sie sich nicht erholen wird.
Die Hubschrauberflotte der Küstenwache ist aufs Festland beordert worden, um Polizei und Militär bei der Evakuierung stark betroffener Gebiete zu unterstützen. Ein Filmbericht, der mir einen besonders heftigen Tiefschlag versetzte, zeigte eine Gruppe von Überlebenden auf einem Hausdach in San Diego. Der Hubschrauber umkreiste das Dach des Gebäudes, und ich sah, wie der Rotorwind an den Haaren und Kleidern der Menschen zerrte. Sie saßen auf einer riesigen Klimaanlage fest; allem Anschein nach hatten sie die erklommen, um ihren Verfolgern zu entwischen (einem Dutzend wandelnder Leichname). Ein besonders schreckliches Bild war das einer Mutter und ihrer Tochter. Die Mutter hatte den Mund der Tochter mit Klebeband verschlossen und ihre Arme und Beine gefesselt. Die Tochter war keine mehr von uns. Sie war tot. Die Mutter wollte nicht von ihr lassen. Arme, unwissende Frau.
Ich weiß nicht, wie ich darauf reagieren soll, dass die Welt in Stücke fällt. Auf den Nachrichtenlaufbändern rollen die Namen zahlloser Städte vorbei. Sogar meine Stadt hat einen Platz auf dem unteren Bildschirmrand erobert. Es gibt keine Werbung mehr im Fernsehen; nur noch schwafelnde Köpfe.
Korrespondent: »Das, was Sie nun sehen werden, ist für die Augen kleiner Kinder nicht geeignet.
Eine Journalistengruppe fährt in einem Kleinbus des Senders durch die Chicagoer Innenstadt. Die Kamera ist auf den Fahrer gerichtet. Man sieht deutlich, wie erschüttert er ist und sich Mühe gibt, den Wagen nicht von der Straße abkommen zu lassen. Dann schwenkt die Kamera in Fahrtrichtung. Geradeaus und an beiden Seiten des Wagens: ein Gestaltenmeer. Ich erkannte, dass der Wagen so schnell wie möglich fuhr. Man hörte eine Männerstimme aus dem hinteren Teil des Autos, die irgendwas schrie. Der Fahrer gab sein Bestes, um sich durch die Menge zu fädeln, doch es kamen zu viele Tote auf sein Fahrzeug zu, um allen davon ausweichen zu können. Die Kamera schwenkte wieder zum Rücksitz und zeigte die Berichterstatterin.
Sie sagte: »Wie Sie sehen, wäre es SELBSTMORD, nach Chicago zu kommen. Möge Gott uns allen beistehen.«
Dann fuhr sie sich mit dem Zeigefinger über den Hals, und die Kamera wurde abgeschaltet. Der Bildschirm zeigte wieder den Nachrichtensprecher im Studio. Er verkündete halbherzig seine Hoffnung, die Kollegen bald gesund wiederzusehen und bemühte sich, sein aufgesetztes Lächeln nicht entgleisen zu lassen. Ich schaltete den Fernseher aus, ging raus und taxierte mein Haus.
9.00 Uhr
Umzäunungsmauer: Massiv. Situation auf der Straße: Es sind nur Notarztwagen unterwegs. Ich sehe ein paar menschliche Gestalten, kann aber nicht erkennen, ob sie Freund oder Feind sind.
Bedrohungen: Ich sehe in einer Entfernung von etwa eineinhalb Kilometern eine Feuersbrunst. Anhand der Rauchentwicklung erkenne ich, dass sie sich nicht in meine Richtung bewegt.
22.12 Uhr
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