Tagebuch der Apokalypse 02
»Dafür hast du mich erlegt?«
Ich war nur drei Meter von den Untoten entfernt. Ich wollte mich rückwärts aus dem kleinen Tal zurückziehen. Eine der Kreaturen schaute zu mir hin, wobei Blut und Fleisch des Hirsches aus ihrem verwesenden Maul troffen. Schon streckte sie die Arme aus, um nach mir zu greifen. Sie stöhnte, dann schauten zwei andere auf und taten das Gleiche. Ich drehte mich um, um der Blutspur zu meinem Gepäck zu folgen. Die Distanz zwischen mir und den Toten vergrößerte sich. Im Lauf sah ich eine unglaublich magere Hauskatze, die in der Nähe des Hirsches von einem Baum sprang. Sie verschwand auf einem Feld in der Nähe.
Beim Anblick der Kreaturen wurde mir erneut bewusst, wie nahe mir der Tod war. Da ich sie schon so oft gesehen hatte, hätte ich eigentlich an sie gewöhnt sein müssen, doch jeder Einzelne ist ein Picasso des Entsetzens, der mich daran erinnert, dass ich mich so lange im Krieg befinde, bis sie alle in der Erde verrotten, aus der wir gekommen sind.
Ich rannte und drehte mich alle fünf Sekunden um, wobei ich mich noch immer stumm verwünschte, weil ich so dumm gewesen war, mit einer solchen Waffe bei dieser Entfernung auch nur den Versuch zu machen, auf ein Tier zu schießen. Als ich dem Baumstumpf nahe genug war, um mein dort deponiertes Gepäck sehen zu können, vernahm ich wieder das Brummen. Ich schaute mich um und konzentrierte mich, da ich wissen wollte, woher es kam. Der Himmel war zu stark bedeckt, um über den Baumwipfeln irgendetwas zu sehen. In einem ernsten Konzentrationszustand begann ich das Knacken von Zweigen in der Ferne wahrzunehmen. Die Hirschjäger waren auf der Fährte eines neuen Opfers. Ich packte mein Zeug und stellte die Tragegurte meines Rucksacks neu ein. Ich war zwar dankbar dafür, dass ich noch lebte, bedauerte aber zutiefst, ein anderes Lebewesen verurteilt zu haben, von diesen verfluchten Anomalien gefressen zu werden. Mir war fast so zumute, als hätte ich für die gegnerische Mannschaft ein Tor geschossen. Der Hirsch lebt auf Erden, damit bedürftige Lebewesen ihn verspeisen, aber doch keine Toten.
Ich wich den Kreaturen aus, indem ich vorsichtig den Highway überquerte und seinem Verlauf auf der Gegenseite folgte. Diese Seite bot mir jedoch viel weniger Deckung als die andere, da sie während der nächsten Kilometer hauptsächlich aus einem großen Feld bestand, das nur alle paar hundert Meter spärliche Deckung bot. Ich nahm mir vor, bei der ersten sich bietenden Gelegenheit wieder auf die andere Seite zu wechseln.
Den Rest des Tages verbrachte ich damit, langsam nach Süden zu marschieren und nach Möglichkeit nicht an den Proviant in meinem Rucksack zu denken, den ich unbedingt bewahren wollte. Den größten Teil des Tages nieselte es. Das Wetter war allgemein ziemlich jämmerlich, doch ich ging davon aus, dass mir in Zeiten wie diesen auch ein Sonnentag jämmerlich erschienen wäre. Ich hatte das Brummen heute in zufallsbedingten Augenblicken dreimal gehört. Nun nahm ich mir vor, die Tageszeiten und jeweilige Dauer des Geräuschs geistig zu notieren.
Ich schaute auf meine Armbanduhr, um abzuschätzen, wie viel Tageslicht mir noch blieb, dann begann ich meine Strategie für einen sicheren Schlafplatz zu formulieren. Um 15.00 Uhr erkannte ich in der Ferne die Umrisse einer Ortschaft. Dies motivierte mich, nach Straßenschildern Ausschau zu halten, die mir sagten, auf was ich mich einließ. Ich wollte nicht in die Nähe der Stadt gehen, wenn die Einwohnerzahl mehr als 30.000 betrug. Allerdings brauchte ich Lebensmittel, einen Straßenatlas und vielleicht auch Munition. Aber nicht um den Preis, eine halbe Million Untote auf den Hals zu kriegen. Selbst wenn einer reicht, um einen Menschen kalt zu machen: Man weicht einem Biss leichter aus, wenn man es mit weniger Bevölkerung zu tun hat. Auch wenn ich es nicht wissenschaftlich belegen kann: Es geht einem besser, wenn man seine Grenze in den Sand gezogen hat.
In ein paar Stunden würde es dunkel werden. Mir war etwas unbehaglich zumute. Am Boden wollte ich um keinen Preis schlafen. Wenn ich vor Einbruch der Nacht kein Quartier fand, wollte ich die ganze Nacht wach und in Bewegung bleiben. Nach dem Absturz hatte ich ursprünglich nur bei Nacht marschieren wollen, aber die Knappheit an NSG- Batterien und die Vorstellung, tagsüber zu schlafen, wenn man gesehen werden kann, hatten meine Meinung geändert. Dass Untote im Dunkeln nichts sehen, war mir neulich nachts wieder aufgefallen, als ich
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