Tagebuch der Apokalypse 02
letzten Jahres vermerkt. Ich betrachtete es und wünschte mir, Zeitreisen wären möglich. Ich würde eine Menge dafür geben, um nochmal einen normalen Tag wie früher zu erleben. Hinter der Familie waren andere Menschen zu sehen. Sie lachten und freuten sich ihres Lebens. Sie hatten keine Ahnung, wie die Welt dreißig lumpige Tage nach dem Knipsen dieses Fotos aussehen würde.
Toter Briefkasten
13. Oktober
15.33 Uhr
Es gibt so viel zu berichten und zu verarbeiten, dass ich nicht weiß, wo ich anfangen soll.
Nachdem ich heute Morgen aus dem Laster gestiegen war, zog ich weiter nach Süden und schaute mir das Schild an, das ich tags zuvor gesehen hatte. Besonders nahe brauchte ich nicht ranzugehen. Auch diesmal ließ mich das Fernglas Zeit und Kraft sparen. Auf dem Schild stand »Marshall 9 km«. Da ich von der texanischen Stadt Marshall schon gehört hatte, nahm ich an, dass allein diese Tatsache darauf hinwies, dass Marshall zu groß war, um mich dort ungestört umsehen zu können. Als ich zu meinem üblichen Highway-Nebenweg zurückkehrte, hörte ich wieder das Brummen. Der Himmel war klar, also richtete ich das Fernglas sofort nach oben und suchte ihn ab. Erfolglos. Ich ging nach Südosten weiter und kam vom Highway ab, so dass ich Marshall umrunden konnte, statt sein Zentrum zu durchqueren. Dies bürdete mir natürlich einen ansehnlichen Umweg auf. Nach etwa einer Stunde ertönte das lauteste Geräusch, das ich seit der Explosion gehört hatte.
Aus der Ferne erscholl der unmissverständliche Lärm von Klangködern. Ich erinnere mich an die deutlichen Töne, weil man sie am Anfang der Untoten- Plage eingesetzt hatte, um die Dinger dorthin zu locken, wo die Raketen einschlagen sollten. Mein spontaner Gedanke war: Werde auch ich bald im Dunkeln leuchten?
Offensichtlich leuchte ich (noch) nicht, denn sonst würde ich dies hier jetzt nicht schreiben. Der Lärm war deswegen nicht betäubend, weil er so weit von meinem Standort entfernt war. Er schien aus dem Osten zu kommen und war nicht mal annähernd so laut wie die Klangköder, die ich vor den Raketeneinschlägen gehört hatte.
Nervös und verwirrt schritt ich weiter nach Südosten aus, bis ich die unmissverständlichen Klänge sich herannahender Flugzeugmotoren hörte. Ich schaute zum östlichen Himmel hoch und sah den Umriss einer sehr niedrig auf mich zufliegenden Maschine. Ich griff sofort nach meinen Leuchtraketen, doch bevor ich den Raketenwerfer auf meine Knarre schrauben konnte, zog die Maschine hoch und setzte zu einem Steilflug an, bis sie mit Himmel verschmolz und unsichtbar wurde. Ich war drauf und dran zu heulen, doch dann wurde ich beinahe von einer großen Palette erschlagen, die an einem großen grünen Fallschirm zur Erde sank. Die Ladung landete sechs, sieben Meter neben mir auf dem Boden und warf mir Erde und Grasbüschel ins Gesicht. Der Fallschirm sank zu Boden, und ich lief schnell zu der Ladung hin und raffte ihn zusammen, bevor er den an ihm hängenden Scheiß über den ganzen Acker schleifte. Nachdem ich den Schirm von seiner Fracht gelöst hatte, faltete ich ihn planlos zusammen und bedeckte ihn mit einem dicken Stein. Die Ladung war in ziemlich dicke Kunststoffschichten verpackt und maß etwa 1,20 x 1,20 x 0,90 Meter.
Ich zückte mein Randall-Messer und zerschnitt die Plane. Auf eine Verpackung hatte jemand »OGA 2b« gesprüht. Ich entfernte sie, klickte Karabinerhaken auf und zog Gurte ab, die die Ladung zusammenhielt. Auf einer Kunststoffpalette waren zahlreiche verschieden große Hartplastikbehälter befestigt. Ganz oben befand sich ein hellgelber Behälter mit der schlichten Aufschrift 01. Ich prüfte die Umgebung, nahm den Behälter und schnippte Riegel auf. Als sich der Deckel öffnete, sah ich zuerst ein Mobiltelefon. Anhand der langen Antenne an der Seite des Geräts erkannte ich, dass es kein normales Handy war. Auf dem Gehäuse stand »Iridium«. Ich nahm das Gerät aus dem Behälter und drückte den Menü-Knopf. Es erwachte zum Leben, zeigte volle Batteriestärke an und meldete »Verschluss entriegeln«. Ich legte das Telefon beiseite und inspizierte den gelben Behälter in aller Gründlichkeit. Auf dem Deckel befand sich ein Diagramm, das zu besagen schien, Iridium- Satelliten- Orbitalpfade für diese Region müssten in diesem Monat mit 80 Prozent Satellitenausfällen rechnen. Laut Diagramm standen täglich nur zwei Stunden für Satellitenverbindungen zur Verfügung.
Diese Stunden waren, je nach atmosphärischer
Weitere Kostenlose Bücher