Tagebuch der Lust
alle Hände voll zu hatte, sie wieder herzurichten. Zu Silvester gab es immer ein rauschendes Fest. Entweder bei uns oder bei einem der Nachbarn auf deren Plantagen. Wie sehr würde ich den Punsch vermissen, den meine Mutter immer zubereitete. Das alles lag in der Vergangenheit, und ich blickte in eine deprimierende Zukunft. Ich würde nie wieder meine Angel in einen See halten oder meine Füße darin baden. Ab heute war ich verheiratet und hatte mich gefälligst auch so zu benehmen.
Ich schreckte auf, als jemand an die Türe klopfte.
„Ja, bitte“, rief ich und meine Mutter kam abermals ins Zimmer.
„Du hast ein wenig gegessen“, stellte sie zufrieden fest. „Es wird Zeit, mein Kind. Nissie wird dir in dein Kleid helfen, und dann ist dein großer Moment da. Ich weiß, dass es für dich nicht einfach ist, aber du wirst ein wunderbares Leben führen. Caleb ist ein erfahrener und guter Mann. Mit der Zeit wirst du lernen, ihn zu lieben. Dein Vater und ich kannten uns auch kaum, als wir heirateten, aber unsere Ehe war die schönste Zeit meines Lebens. Dir wird es ebenso ergehen, glaube mir.“
Wenig überzeugt nickte ich. Ich wollte nicht lernen , jemanden zu lieben. Ich wollte ihn vom ersten Augenblick an lieben.
„Liebe baut sich langsam auf und ist vergänglich“, sinnierte meine Mutter weiter, während Nissie mir in mein Kleid half. „Respekt, Freundschaft und Vertrauen sind die beste Basis einer Ehe.“
Ich respektierte Caleb nicht – dafür kannte ich ihn zu wenig, und ich glaubte auch nicht, dass er in mir eine Freundin oder gar Gefährtin sah. Es war ein Arrangement, das er eingefädelt hatte. Ich war eine junge, hübsche Frau, die ihm sicherlich viele Kinder schenken würde und die an seiner Seite gut aussah. Nicht mehr und nicht weniger. Meine Mutter konnte sich vorgaukeln, was sie wollte, ich fühlte mich verkauft.
Als ich fertig angezogen vor ihr stand, wischte sie sich Tränen der Rührung aus den Augen. Vielleicht waren es aber auch Tränen des Bedauerns, denn sie wusste, dass ich totunglücklich war. Stürmisch nahm sie mich in die Arme und drückte mich ein letztes Mal. Dann wurde ich in den Garten geführt, wo schon mein Bruder auf mich wartete. Er lächelte, gab mir einen Kuss auf die Stirn und bot mir seinen Arm. Da mein Vater tot war, oblag ihm die Aufgabe, mich zum Altar zu führen. Ich drückte meinen Rücken durch und ging stocksteif an seiner Seite, bis zu dem kleinen Pavillon, wo schon der Pfarrer mit Caleb auf mich wartete. Mein Bruder legte meine zittrige Hand in Calebs, und mein zukünftiger Ehemann schaute mich kurz an. Kein Lächeln zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Keine Gefühlsregung. Er ließ sich zu nichts hinreißen, was Aufschluss über seine Gedanken mir gegenüber verriet. Dann begann der Pfarrer mit seiner Rede, aber ich hörte kaum hin. Stattdessen dachte ich erneut an die Weihnachtsabende mit meiner Familie.
Die Trauung dauerte nicht lange. Es war ein formloser und unromantischer Vorgang, den Caleb allem Anschein nach, so schnell wie möglich hinter sich bringen wollte.
Ich wisperte tonlos „Ja, ich will“, und Caleb steckte mir einen Ring an den Finger. Dann küsste er flüchtig meine Wange, und wir ließen uns als Ehepaar feiern. Mein Bruder schlug ihm kräftig auf die Schulter und hieß ihn der Familie willkommen, was Caleb mit einem genervten Lächeln zur Kenntnis nahm. Einige Nachbarn waren gekommen und beglückwünschten mich. Menschen, die ich seit Kindesbeinen kannte, und die nicht sahen, wie schlecht ich mich fühlte. Doch ich lächelte tapfer und nahm die mitgebrachten Geschenke entgegen. Dann versammelten wir uns an den gedeckten Tischen zu einem gemeinsamen Mahl. Im Hintergrund spielte eine Kapelle ruhige Musik, um wenigstens für ein bisschen Stimmung zu sorgen. Doch ihre Mühen waren vergeblich. Das Essen verlief angespannt und man merkte Caleb an, wie sehr es ihn drängte, endlich abreisen zu können. Er hatte noch kein einziges Wort mit mir gewechselt, war nach wie vor ein Fremder für mich. Nach dem Essen tanzten Caleb und ich noch unseren Hochzeitstanz und danach wurde ich in mein Zimmer gebracht, um mich für die Reise umzuziehen.
Nun war er gekommen, der Moment des Abschiedes. Meine Mutter, meine Schwester und auch ich weinten bitterliche Tränen, als ich die Kutsche bestieg, die mich in mein neues Heim bringen sollte. Ein letztes Mal winkte ich ihnen zu und sah aus dem Fenster, bis meine Familie immer kleiner wurde und plötzlich ganz
Weitere Kostenlose Bücher