Tagebuch der Lust
wird bald serviert.“
Mit einem Lächeln winkte ich das Mädchen zu mir. Sie mochte höchstens vierzehn Jahre alt sein. Ihr magerer Körper steckte in einem gestärkten grauen Kleid, mit weißer Schürze und auf ihren schwarzen Locken saß eine kleine Haube. Doch als ich ihr Gesicht sah, erschrak ich. Auf der linken Wange, bis zum Auge, zog sich ein Hämatom in den leuchtendsten Farben.
„Wie heißt du?“, fragte ich mit einem Kloß im Hals.
„Molly, Ma'am.“
„Wer hat das getan?“, sagte ich und deutete auf ihre Wange.
„Mister Caleb, Ma'am“, antwortete sie und scharrte mit dem Fuß auf dem Boden. „Aber ich hatte es verdient, denn ich war ungeschickt und habe einen Teller des guten Service zerbrochen. Ich bin sehr tollpatschig und muss noch viel lernen.“
Ich presste die Lippen aufeinander. Caleb schlug also auch seine Sklaven. Dem würde ich auf jeden Fall Abhilfe schaffen.
„Nun, Molly“, sagte ich sanft. „Vor mir brauchst du keine Angst zu haben. Ich schlage dich nicht und auch sonst niemanden. Ich werde dafür sorgen, dass so etwas nicht noch einmal vorkommt.“
Molly lächelte dankbar und als ich mich an den Frisiertisch setzte, nahm sie sofort eine Bürste zur Hand und fuhr damit durch meine roten Locken.
„Sie haben wunderschönes Haar, Ma'am“, meinte sie und bearbeitete sorgfältig Strähne für Strähne meines hüftlangen Haares.
„Nenne mich Victoria, sonst komme ich mir so alt vor“, lächelte ich, doch Molly schüttelte energisch den Kopf.
„Mister Caleb hat bestimmt etwas dagegen“, sagte sie entschieden.
„Was Mister Caleb sagt, ist mir egal“, erwiderte ich. „Du arbeitest jetzt für mich, also kann ich auch entscheiden, wie du mich nennst.“
Mollys breites Gesicht verzog sich zu einem Grinsen.
„Gerne, Miss Victoria. Ich werde alles tun, damit Sie zufrieden mit mir sind.“
Ja, das würde sie. Ich war erst einen Tag hier und hatte schon drei Verbündete gegen Caleb, denn auch wenn Molly nur eine Sklavin war, so sollte sie mir eines Tages eine große Hilfe sein.
Nachdem ich fertig umgezogen war, zeigte Molly mir den Weg ins Speisezimmer. Caleb und seine Kinder saßen bereits an dem langen Esstisch aus dunklem Holz und erwarteten mich. Alisha warf mir ein strahlendes Lächeln zu und bedeutete mir, neben ihr Platz zu nehmen. Jethro saß mir gegenüber und beobachtete jede meiner Bewegungen. Als sich unsere Blicke trafen, nickte er mir aufmunternd zu. Caleb saß, wie es sich für den Herrn des Hauses gehörte, am Kopfende des Tisches. Ich versuchte, ihm zu zulächeln, doch sein eisiger Blick ließ das nicht zu.
„Du kommst spät“, sagte er scharf. „Wir pflegen um Punkt sechs zu speisen, also gewöhne dich an die Uhrzeiten.“
„Entschuldige, Caleb“, gab ich kleinlaut zurück. „Ich war eingeschlafen und habe mich dann mit Molly bekannt gemacht.“
Calebs Lippen umspielten ein spöttisches Grinsen.
„Du hast dich mit einer Sklavin bekannt gemacht? Sie soll für dich arbeiten, nicht ein Schwätzchen beim Tee abhalten“, meinte er ironisch.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch Alisha stieß mich unter dem Tisch an und so blieb ich stumm. Mit gesenktem Kopf saß ich auf meinem Stuhl und sah auch nicht auf, als das Essen gebracht wurde. Lustlos stocherte ich auf dem Teller herum, während Caleb sich mit Jethro unterhielt. Ich musste mich arg zusammenreißen, um nicht in Tränen auszubrechen. Die Feindseligkeit, die Caleb mir gegenüber an den Tag legte, machte mir schwer zu schaffen, und auch Alishas Bemühungen, sich mit mir zu unterhalten, halfen nicht.
Das Dinner dauerte gefühlte Stunden für mich. Ich konnte es kaum erwarten, wieder in mein Schlafzimmer zu kommen und mich auszuweinen. Daher entschuldigte ich mich augenblicklich, als Caleb sich erhob. Eilig lief ich die Treppen hinauf, direkt in mein Zimmer und schloss die Tür hinter mir. Ich drehte den Schlüssel herum und atmete auf. Molly klopfte, doch ich wollte niemanden mehr sehen. Es war nicht Recht, wenn ich einer vierzehnjährigen Sklavin meine Gefühle mitteilte. Wenn sie sah, dass ich in dieser Ehe, die erst wenige Tage alt war, kreuzunglücklich war. Caleb war der Herr des Hauses und wenn ich die Sklaven gegen ihn aufbrachte, würde ich es bitter bereuen. Also befreite ich mich umständlich alleine aus meinem Kleid und dem Korsett und schlüpfte in ein Nachthemd. Als ich endlich im Bett lag, konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Still schluchzte ich in mein
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