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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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ermöglicht, einzuschreiten und seinen erhobenen Arm festzuhalten. Er ließ ihn sinken und sah Hilda an. Er konnte Margot nicht schlagen, während sie am Boden lag.
    Sheren und ich flankierten Margot und halfen ihr, aufzustehen. Nackt und blutverschmiert wandte sie sich an Hilda. Sie holte tief Luft, und wütend sagte sie, noch bevor Mr. O’Hare sein Zögern erklären konnte: »Wenn Marnie Sie jetzt so sehen könnte, würde sie sich glatt noch mal umbringen.«
    Hildas Kinnlade klappte herunter. Sie kniff die Augen zusammen.
    Â»Was hast du gesagt?«
    Sheren flüsterte mir etwas zu, was ich schnellstens an Margot weitergab.
    Margot biss die Zähne aufeinander. Dann sagte sie laut und deutlich:
    Â»Was hatte Marnie doch gleich zu Ihnen gesagt, kurz bevor sie starb? Sei ein braves Mädchen, damit wir uns im Himmel wiedersehen. Und jetzt sehen Sie sich an, Miss Marx. Hilda. Marnie ist traurig. Sie sind keinen Deut besser als Ray, Dan, Patrick und Callum.«
    So hießen die Männer, die Hilda missbraucht und misshandelt hatten. Hilda riss die Augen auf. Ihre Aura verfärbte sich rot, und ihr stand der Hass ins Gesicht geschrieben. Sie holte aus und verpasste Margot eine schallende Ohrfeige. Ich konnte das Brennen selbst spüren. Margot starrte Hilda und Mr. O’Hare an. Die beiden rührten sich nicht. Da sammelte Margot ihre Kleider auf und ging.
    Lauf!
    Sobald Margot begriff, dass ihr niemand hinterherkam, türmte sie. Blitzschnell zog sie ihren Rock und ihren Pullover über, sonst nichts, riss die schwarzen Türen auf und rannte bis ans Ende der Zufahrt. Erst als wir dort angelangt waren, blieben wir zwischen den beiden Steinsäulen stehen und sahen uns um. Margot keuchte. Das Adrenalin ließ ihr so viel Wasser in den Mund laufen, dass er überlief. Ich winkte. Ich winkte all den anderen Engeln zu, die sich vor dem Gebäude versammelt hatten, um sich von mir zu verabschieden. Es war das letzte Mal, dass ich sie sehen würde. Ich hielt nach Sheren Ausschau. Sie hob beide Arme, so wie damals, als sie mir von dem Lied der Seelen erzählte, und ich nickte. Ich wusste, was sie sagen wollte.
    Als Margot wieder atmen konnte, machten wir uns auf den Weg zum Dorf. Vor Kälte bibbernd und halb tot tastete Margot sich durch die Dunkelheit, fand die himmelblaue Tür und hämmerte dagegen, bis ein zerzauster, besorgt aussehender Mann aufmachte. Sie ließ sich vor seinen Füßen auf die Knie fallen und weinte.

– 10 –
    GROGORS ANGEBOT
    Der Mann, der die Tür aufmachte, war nicht der Mann, den ich in meiner Vision gesehen hatte.
    Wie sich herausstellte, hatte die Familie aus meiner Vision das Haus verkauft und war zurück nach Exeter gezogen. Der Mann, der die Tür aufmachte, lebte nun schon seit über einem Jahr in dem Haus.
    Doch als ich ihn sah, jubelte ich. Ich hüpfte. Ich schlang die Arme um ihn und küsste ihn. Ich ging auf und ab und führte Selbstgespräche, während Margot ihm erklärte, wer sie war, warum sie um acht Uhr morgens vor seiner Tür zusammenbrach und warum sie aussah, als hätte man sie aus den Tiefen des Meeres gezogen.
    Ich kam mir vor wie Äneas, der den Hades betritt und dort all jene wiederfindet, die er geliebt und verloren hat. Vor uns stand Graham Inglis, der Mann, den ich zehn lange, wunderschöne Jahre Papa nannte. Über seinen Tod bin ich nie hinweggekommen. Und jetzt brauchte ich Wochen, um darüber hinwegzukommen, dass er wieder da war. Mit seinem roten, warzenübersäten Gesicht und seinem Hang zu unkontrolliertem Furzen und Rülpsen. Der Mann, der stets mit vollem Mund redete und schon weinte, wenn ihm nur mal ein Hut herunterfiel. Ach, Papa. Er trug das Herz nicht nur auf der Zunge. Er legte es einem bei der ersten Begrüßung in die Hand und ließ die beiden Blutkreisläufe verschmelzen.
    Graham breitete eine schmuddelige alte Decke um Margots Schultern, nahm das Kind mit ins Haus und fragte, ob sie etwas trinken wolle. Er bat Margot, eine Minute dort zu verweilen, wo sie war, während er Irina holte, die ein ganzes Jahr lang meine Mama sein sollte. Die beiden geleiteten sie dann ganz ruhig ins Wohnzimmer, während ich im Flur stand und hyperventilierte. Mir wurde das alles zu viel. Ich stand wie angewurzelt da, plapperte aufgeregt vor mich hin und glotzte Mama an, als könne sie jeden Augenblick wieder verschwinden. Ich sog all das in mir auf, was ich so

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