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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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schlummerte, auf dem Margot jetzt schlief. Dies waren aber noch harmlose Aufgaben im Vergleich zu meiner Hauptbeschäftigung: Wie bei einem Schachspiel funkte ich immer wieder dazwischen, um einen Weg, den drei gesichtslose Dämonen für Margot vorzeichnen wollten, zu ändern.
    Hierzu eine Erklärung: Dämonen bedienen sich nicht geflüsterter Hinweise und Stupsern mit dem Ellbogen. Dämonen sind Experten, wenn es um menschliche Schwächen geht. Sie ermuntern Seelenverwandte, zu heiraten, spüren aber gleichzeitig selbst die feinsten Risse in der Verbindung auf und trampeln dann jahrelang darauf herum, bis irgendwann die Scheidung nicht nur die Seelenverwandten zerreißt, sondern auch ihre Kinder und Kindeskinder, immer weiter, bis sich der Riss durch mehrere Generationen zieht. Dämonen stecken sich ihre Ziele lange im Voraus. Und sie sind Rudeljäger. Zu dritt wollten sie in jener Nacht den Plan ausführen, den sie schon seit Jahren auf dem Reißbrett hatten: Sie wollten Margot dazu bringen, Selbstmord zu begehen.
    Ich sah die Hinweise auf den von den Dämonen vorgezeichneten Weg im gleichen Moment, in dem ich den Buchladen betrat. Der erste Hinweis war Bob. Er sah Margot und dachte an Handschellen. Dann gab er sich einem weiteren Gedanken hin, der wie ein Film in seinem Kopf ablief: Er würde Margot wochen-, monate- oder gar jahrelang in der Wohnung über dem Laden festhalten. Sie würde für ihn kochen und putzen, und er würde sie mit so viel Gras versorgen, wie sie benötigte, um jeden Gedanken an Flucht zu betäuben. Sein krankes Gewissen schaffte es, die Vorstellung zu verscheuchen, aber sie kehrte immer wieder zurück. Zehn andere Engel und ich stellten uns in einem Kreis um sein Bett auf und sorgten dafür, dass er von seiner Mutter träumte. Als das Licht um seinen Kopf herum stärker wurde, tauchten die drei anderen Wesen auf. Und das war der Moment, in dem ich erfuhr, dass es unter Engeln eine Rangordnung gibt: Vier Engel zogen Schwerter hervor. Die Klingen sandten gleißendes Licht aus. Bei genauerem Hinsehen hätte man meinen können, sie seien aus Quarz gefertigt. Woraus auch immer sie waren, es funktionierte. Die Dämonen verzogen sich, und ihr Plan ging nicht auf. Aber ich wollte nichts riskieren. Den Rest der Nacht setzte ich mich mit den anderen Engeln zusammen und plante eine neue Route für Margot. Sie entfernten sich, um zu tun, was zu tun war.
    Am nächsten Morgen war mein Kleid indigoblau, und ich war orientierungslos, verängstigt und aufgeregt. Aus irgendeinem Grund hatte sich das Kleid noch einmal verfärbt, als ich endgültig den Vorhang zur spirituellen Welt weggerissen hatte. Hätte ich gewusst, wie viel mehr Verantwortung auf mir lasten würde – wie viel mehr Schutz Margot brauchen würde –, hätte ich den Vorhang wohl hübsch da gelassen, wo er war.
    Aber jetzt war es zu spät.

– 13 –
    UNSICHTBARE WAFFE
    Am nächsten Morgen fasste ich einen neuen Vorsatz: Ich wollte herausfinden, wie ich gestorben war. Oder, um genauer zu sein: wer mich umgebracht hatte.
    Margot war fast achtzehn, naiv wie ein Küken und zum Anbeißen lecker. Und als wäre diese Mischung nicht schon gefährlich genug, hatte sie den Kopf voller Flausen bezüglich ihrer Zukunft: Sie träumte davon, eine erfolgreiche Schriftstellerin zu werden, die ganz nebenbei auch sechs Kinder (drei Jungs, drei Mädchen) großzog, in einem Haus mit Garten etwas außerhalb von New York wohnte und einer etwas besser aussehenden Version von Graham Apfelkuchen backte. Als ich sah, wie sie sich aus ihrem Zimmerfenster lehnte, von dem aus sie die schmutzigen, regennassen Straßen und die gelben Taxis sehen konnte, als ich sah, wie ihre schillernden Träume alles um sie herum so fröhlich bunt färbten, da lähmte mich die quälende Frage: Warum ist dann alles anders gelaufen? Wann und wo ist mir mein Leben entgleist?
    War es wegen Hilda? Seth? Sally und Padraig? Lou und Kate? Zola und Mick? Lag es an Dingen, die noch in der Zukunft lagen – die Heirat mit Toby, Theos Geburt, das Scheitern der Ehe, das ich im Wodka ertränkte? Hier und jetzt war doch der Moment, in dem mein Leben senkrecht hätte durchstarten können. Wie konnte es also sein, dass eine blonde junge Frau, die zu einer Zeit in Manhattan lebte, in der dort die besten Revolten (soziale, politische, sexuelle, wirtschaftliche)

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