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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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Kram verkaufen kann, den man nicht mehr braucht.«
    Â»Ã„h …«
    Â»Da könnten wir vielleicht billig an gebrauchte Bücher kommen.«
    Â»Wir …?«
    Â»Ich mach mich mal auf die Socken und finde heraus, wo wir unseren neuen Bestand herkriegen.«
    Â»Ã„h, Margot?«
    Sie hatte den Mantel bereits an und drehte sich in der Tür noch einmal nach ihm um. »Was denn?«
    Bob kratzte sich den Bauch. »Ach, nichts. Nur … viel Glück.«
    Sie lächelte und ging.
    Für diejenigen unter Ihnen, die sich nicht mehr daran erinnern können, noch nicht geboren waren oder sich seinerzeit auf einer einsamen Insel befanden: New York war in den späten Siebzigerjahren eine einzige pulsierende, wenig glamouröse, kriminalitätsgeplagte, drogenverseuchte, Versager produzierende 24-Stunden-Disco. Als ich jetzt dorthin zurückkehrte, war ich einerseits vorsichtig gespannt, andererseits ganz kribbelig vor Aufregung. Es war mir, als hätte hier jeder Mensch zehn Engel, und zwar unterschiedlicher Art – einige von ihnen in weißem Kleid, einige wie in Flammen, andere riesengroß und grell blinkend. Kein Wunder also, dass die Stadt stolze Unbesiegbarkeit ausstrahlte, als hätte sie selbst Flügel, die sie über alles und jeden erheben könnte, der auf ihr herumtrampelte. Auf den Straßen zum Beispiel, die Margot an jenem Morgen entlangging, hatte der Serienmörder »Son of Sam« erst kurz zuvor wieder Blut fließen lassen. Als die Horden von Reportern wieder weg waren, lastete zunächst eine Mischung aus Angst und Misstrauen auf dem Viertel, es herrschte so dicke Luft, dass man kaum frei atmen konnte. Aber jetzt, nur kurze Zeit später, war wieder Leben eingekehrt. Mohnblumen wuchsen trotzig zwischen den Betonplatten, die die Polizei gerade eben abgesperrt hatte. Ich erinnerte mich, dass das genau der Grund dafür war, dass ich mich sicher fühlte, obwohl ich innerhalb von achtzehn Monaten vier Mal überfallen worden war. Dass ich New York genau darum liebte. Nicht wegen seiner Cafés, die den Mitgliedern der Black-Panther-Partei als Unterschlupf dienten, nicht wegen der Beatdichter auf der 6th Avenue und auch nicht wegen
der Revolutionäre. Nein, was mich faszinierte, war die Unverwüstlichkeit dieser Stadt. Hier hatte ich das Gefühl, über die hohen Mauern meiner Vergangenheit hinwegklettern und von dort aus nach den Sternen greifen zu können.
    Es hatte angefangen zu regnen. Margot zog sich den Mantel über den Kopf und versuchte, sich auf dem Stadtplan zurechtzufinden. Einmal verwechselte sie rechts und links, und schon war sie in einer Wohnstraße auf der East Side gelandet. Es war lange her, seit sie zuletzt so viele Wohnhäuser so dicht nebeneinander gesehen hatte – fast wie gestapeltes Brennholz im Schuppen. Sie blieb stehen und betrachtete einige Minuten lang die weißen dreistöckigen Reihenhäuser mit den zu ihren Haustüren hinaufführenden Treppen. Nur wenige Meter vor ihr trugen ein zerzauster Schönling und eine hochgewachsene Schwarze in einem gelben Maxikleid Kisten aus einem der Häuser und luden sie auf einen Pickup. Es sah aus, als würden sie sich streiten. Die Frau hatte die Augen weit aufgerissen, gestikulierte wild und redete in einer Tour. Kaum war Margot in Hörweite, ließ der Schönling seine Kiste fallen und stürmte ins Haus. Die Frau machte weiter, als sei nichts passiert. Margot ging auf sie zu.
    Â»Hi. Ziehen Sie aus?«
    Â»Ich nicht. Aber er«, sagte sie kurz und nickte Richtung offene Haustür.
    Margot warf einen Blick auf die Kiste, die die Frau gerade schleppte. Sie war voller Bücher.
    Â»Würden Sie mir die verkaufen?«
    Â»Die würde ich dir sogar schenken. Sind aber nicht meine. Da muss ich erst ihn fragen.«
    Die Frau schnaubte und stellte die Kiste ab, zog ein Buch heraus, hielt es sich als Regenschutz über den Kopf und rannte ins Haus. Margot ging langsam auf die Kiste zu und studierte deren Inhalt. Salinger, Orwell, Tolstoi … Der Typ hatte Geschmack.
    Der Schönling tauchte in der Tür auf. So schön war er von Nahem betrachtet gar nicht. Blass wie ein Vampir, einem Vogelnest ähnelnde schwarze Haare und dunkle, wässrige Augen, die schon zu viel Schmerz und Elend gesehen hatten.
    Â»Hey«, sprach er Margot an. »Du willst meine Bücher?«
    Margot lächelte. »Hm, ja, gerne, wenn Sie sie

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