Tagebuch eines Engels
würde mal mit seinem »Typen« reden, womit er wohl seinen Schützling meinte. Sein »Typ« war ein Taxifahrer. Ich lenkte Margot in seine Richtung.
Dem Taxifahrer fiel sofort etwas ein, wo Margot arbeiten und unterkommen konnte, und zwar mitten in der Stadt. Und was noch besser war: Es lag gleich um die Ecke vom besten kleinen typisch amerikanischen Café der Stadt. Mit den weltbesten Frittatas. Margot konnte ihr Glück kaum fassen. Als der Taxifahrer am Ziel hielt, strahlte sie bereits wie ein Halloween-Kürbis. Auch ich konnte es kaum fassen. Raten Sie mal, wo wir gelandet waren? Na los, machen Sie schon. Ist nicht schwer.
»Babbington Books« wirkte eher wie ein Pfandhaus, nicht wie eine Buchhandlung. Bob Babbington â der faule, kettenrauchende, ausbeuterische Besitzer, den ich bereits erwähnte â hatte das Geschäft von seinem Vater geerbt. Seine Entscheidung, das Geschäft weiterzuführen, hatte weniger mit einer eventuellen Leidenschaft für Bücher zu tun â er las in erster Linie Bedienungsanleitungen für Autos â oder gar dem Wunsch, die Babbington-Buchhändler-Reihe in dritter Generation fortzusetzen. Nein, Bob gab vielmehr seiner Vorliebe für mietfreies Wohnen und eine sitzende Tätigkeit nach, während derer er rauchen konnte. Dass Bob sich nicht mit Herzblut für das Geschäft engagierte, konnte sozusagen ein Blinder mit Krückstock sehen. Schwarz gestrichene Blumenkästen, aus denen vertrocknetes Unkraut und leere Bierdosen quollen, machten den Laden in etwa so einladend wie ein offenes Grab. Und drinnen sah es noch schlimmer aus.
Margot lieà sich nicht abschrecken, drückte die Tür auf und rief »Hallo?« So traten übrigens die meisten Kunden ein: leicht verunsichert, ob sie vielleicht störten ⦠In der hinteren Ecke des Ladens konnte sie ein Büschel schwarzer Haare ausmachen sowie einen Schnauzbart, vor dem Rauch aufstieg, und ein enorm breites, weiÃes Grinsen, das sich bei genauerem Hinsehen als Bobs Bierbauch entpuppte, der unter dem engen T-Shirt hervorquoll. Sein erster Gedanke, als er die blonde Zigeunerin im Schottenkaro sah, war: Handschellen. Oh-oh.
Wie dem auch sei. Bob hielt Wort und überlieà Margot ein Zimmer dafür, dass sie ihm unten im Laden half. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeiÃen, meinen Frust hin und wieder an Pirate â Bobs blinder, leprakranker Katze â auszulassen und mit ein bisschen Licht die Kakerlaken und Ratten zu vertreiben.
Margot legte sich auf das Schlafsofa zwischen die schmuddeligen Laken, dachte an Graham und daran, wie sehr sie ihn jetzt schon vermisste, und weinte sich in den Schlaf. Ich für meinen Teil ging unruhig im Zimmer auf und ab und beobachtete mein Kleid bei einem neuerlichen Farbwechsel. Wie das Meer, dessen Blau sich vertieft, wenn die Sonne untergeht. Ich wartete auf Nan â normalerweise tauchte sie ja auf, wenn sich in meiner Welt etwas veränderte. Tat sie aber nicht. Also musste ich selbst drauf kommen.
So furchtbar schwer fiel es mir dann auch nicht. SchlieÃlich gab es ja ein paar Anhaltspunkte. Die spirituelle Welt hatte mir nur wenige Stunden zuvor ihre Türen geöffnet â jetzt tat die natürliche Welt es ihr nach. Als ich auf die StraÃe hinunterblickte, sah ich etwas, was mir zunächst wie Staubwolken vorkam, die etwa zwei Meter über dem Bürgersteig schwebten. Dann erkannte ich, dass diese »Wolken« ganze Schwärme von Krankheitserregern waren, in die ahnungslose Passanten reihenweise hineinliefen. Ich saà da und beobachtete entsetzt, wie ein Mann durch die Wolke marschierte und sich ein Kaposisarkom einfing, das sich über sein Zahnfleisch und um seine Knie herum verteilte wie Billardkugeln nach dem AnstoÃ. Und dann, wie eine Frau rasch vorbeilief und eine Portion hundert Jahre alter Pockenkeime mitnahm. Ich versuchte, ihren Engeln Zeichen zu geben, doch jedes Mal hörte ich ihre Antworten so deutlich wie Nachrichten auf einem Anrufbeantworter in meinem Kopf: Sieh doch mal genauer hin, Grünschnabel. Jedes Virus birgt eine Lektion.
Es dauerte noch ziemlich lange, bis ich lernte, so genau hinzusehen.
Natürlich war Margots Zimmer ein Eldorado für alle möglichen Keime. Die Nacht über sorgte ich dafür, dass sich keine Sporen in Margots Lungen festsetzten, und ich wehrte eine ziemlich üble Grippe ab, die in dem Kissen
Weitere Kostenlose Bücher