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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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sie zog sich von meinem Widerstand zurück. Ich biss mir auf die Lippe. Ich konnte es nicht leiden, wenn unsere Unterhaltungen in Uneinigkeit endeten. »Pass auf«, sagte sie, und dann war sie weg. Ich drehte mich um. Ich sah einen dunklen Nebel und in einem Autofenster eine Spiegelung: Grogors Gesicht. Er zwinkerte.
    Ich stand im Regen und spürte, wie das Wasser auf meinem Rücken pulsierte. Ich wusste nicht, ob der Herzschlag in meiner Brust mein eigener war oder nur die Erinnerung daran, ob die Entscheidungen, die Margot traf, meine oder ihre waren, und zum ersten Mal in meinem Leben wusste ich nicht, was ich überhaupt noch zu melden hatte. Und darüber wurde ich richtig sauer.
    Mitternacht. Arm in Arm verließen Margot und Tom die Lenox Lounge. Sie waren immer noch nicht dahintergekommen, dass sie sich aus dem St.Anthonys kannten. Aber sie wussten, dass sie sich schnellstens wiedersehen und ihre Bekanntschaft vertiefen wollten.
    Sie nahmen sich in den Arm und küssten sich lange.
    Â»Morgen gleiche Zeit, gleicher Ort?«, fragte Tom.
    Â»Perfekt.« Margot gab ihm noch einen Kuss. Ich wandte mich ab.
    Tom sah ein Taxi kommen. »Das nimmst du«, sagte er. »Ich habe heute irgendwie Lust, zu Fuß nach Hause zu gehen.«
    Das Taxi hielt, Margot sprang hinein. Sie sah ihn lange an und lächelte. Ohne eine Miene zu verziehen, zog Tom eine unsichtbare Magnum .44 aus der Innentasche und feuerte auf sie. Eine Erinnerung an St.Anthonys blitzte in ihr auf, verblasste aber genauso schnell wieder. Ich stand neben ihm, und wir hingen beide unseren Erinnerungen nach, während das Taxi ausscherte und sich in den leuchtenden Strom aus Rücklichtern einfädelte.
    Ich setzte mich hinten ins Taxi neben Margot. Sie sah aus dem Rückfenster und lachte jedes Mal, wenn sie an Tom dachte. Das Licht um ihr Herz herum wurde größer. Immer mehr Wünsche sammelten sich darin. Ich dachte an das, was Nan gesagt hatte. Und du glaubst, dass eine Ehe mit Tom anders laufen würde? Ja, dachte ich. Ja, das glaube ich.
    Als das Taxi an einer roten Ampel hielt, klopfte es ans Fenster. Der Fahrer ließ es herunter. Der Mann, der draußen im Regen stand, schaute in den Wagen und hielt sich dabei ein in Leder gebundenes Notizbuch über den Kopf.
    Â»Können wir uns das Taxi teilen? Ich muss ins West Village.«
    Ich versteifte mich. Diese Stimme hätte ich auch wiedererkannt, wenn man sie in einer ägyptischen Grabkammer beigesetzt und eine Blaskapelle davor platziert hätte.
    Der Taxifahrer nahm über den Rückspiegel fragenden Blickkontakt mit Margot auf.
    Â»Klar«, sagte sie und rutschte zur Seite, um dem neuen Fahrgast Platz zu machen.
    Nein , sagte ich und schloss die Augen.
    Die Ampel wurde grün. Ein junger Mann in einem limefarbenen Kordanzug warf das lange Haar in den Nacken und streckte Margot eine Hand entgegen. »Danke«, sagte er. »Ich bin Toby.«
    Ich stieß einen Schrei aus. Ein langen, verzweifelten Schrei. Den Schrei der Verdammten.
    Â»Margot«, sagte Margot, und ich weinte.
    Â»Freut mich, dich kennenzulernen.«

– 14 –
    ANZIEHUNGSKRÄFTE
    Es ist beinahe unmöglich, die Atmosphäre in dem Wagen zu vermitteln: jenes Gefühl, das über uns schwankte wie eine mit Regenwasser zum Zerbersten gefüllte Markise. Der auf die Windschutzscheibe prasselnde Regen. Die auf Hochtouren schuftenden Scheibenwischer und der Taxifahrer, der I ’ m Singin ’ in the Rain auf Ungarisch trällerte.
    Margot sah Toby an und war seltsam fasziniert von seinen langen Haaren – sie hatten die Farbe von Herbstlaub –, den sanften Augen, der Aufrichtigkeit in dem einen Wort: »Danke.«
    Toby warf einen seitlichen Blick auf Margot und dachte, schöne Beine . Und obwohl ich einigermaßen frustriert war, reagierte etwas tief in mir darauf. Er ging von Anfang an davon aus, dass Margot einen festen Freund hatte, dass sie an der Columbia-Universität studierte (das kam von dem kurzen, moosgrünen Tweedrock, den sie trug und der unter den Columbia-Studentinnen diesen Sommer so angesagt war) und dass jemand wie er bei einem Mädchen wie ihr nicht die leiseste Chance hatte. Also lächelte er einfach nur freundlich, zog einen Block aus der Tasche und machte sich weiter Notizen für seine Kurzgeschichte.
    Die Anziehungskraft, die Toby dort auf der Rückbank sitzend auf mich ausübte, wurzelte in jener tiefen, von

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