Tagebuch Eines Vampirs 02. Bei Dämmerung
Luft, aus der ganzen Atmosphäre.
Es war erdrückend, bedrohlich und von ungeheurem Ausmaß.
Eine Kraft, die sich sammelte, näher kam, sie einschloß.
Elena wirbelte zu den alten Eichen herum, die hinter dem Haus standen. Ging man durch sie hindurch, kam man zum Fluß und zum Friedhof. Etwas... war da draußen. Etwas unaussprechlich Böses. „Nein“, flüsterte Elena. Sie konnte es nicht sehen, aber fühlen. Wie ein großer Schemen erhob es sich vor ihr und löschte den Himmel aus. Sie spürte das Entsetzen, den Haß, die wilde Wut. Gier nach Blut. Stefan hatte das Wort benutzt, doch sie hatte es nicht verstanden. Jetzt fühlte sie, wie sich diese Gier auf sie richtete. „Nein!“ Höher und höher erhob sich die unheimliche Macht vor ihr. Sie konnte immer noch nichts erkennen, aber es schien, als würden sich riesige Schwingen entfalten und den Himmel zu beiden Seiten berühren. Das Fremde besaß eine Kraft, die über jede Vorstellung ging... und es wollte töten... „Nein!“ Elena rannte zum Auto, als der erste Angriff kam. Hektisch griff sie nach der Tür und suchte nach den Schlüsseln. Der Wind heulte, schrie und zerrte an ihrem Haar. Eissplitter wurden ihr in die Augen geschleudert und nahmen ihr die Sicht. Endlich drehte sich der Schlüssel im Schloß, und sie riß die Tür auf. In Sicherheit! Sie knallte die Tür hinter sich zu und verriegelte sie von innen. Der Wind steigerte sich zum Orkan. Das Auto begann, hin und herzu schwanken.
„Hör auf! Damon! Hör auf!“ Ihre Stimme verlor sich in dem dröhnenden Chaos. Elena stützte die Hände auf dem Armaturenbrett ab, als wollte sie den Wagen im Gleichgewicht halten. Doch er wurde noch heftiger durchgeschüttelt. Eis prasselte von außen dagegen.
Dann sah sie etwas. Das Heckfenster beschlug, doch sie konnte noch einen Schemen dahinter erkennen. Er glich einem großen Vogel aus Nebel oder Schnee. Seine Gestalt war verschwommen. Elena konnte nur die riesigen Schwingen deutlich sehen... und wußte, daß er es auf sie abgesehen hatte.
Schnell, den Zündschlüssel hineinstecken. Schnell! Jetzt den Motor anlassen! Ihr Verstand schrie ihr die Befehle zu. Der alte Ford keuchte, und die quietschenden Reifen übertönten sogar den Wind, als sie anfuhr. Die Gestalt folgte. Im Rückspiegel wurde sie größer und größer.
In die Stadt! Zu Stefan! Schnell, schnell! Aber als Elena nach links in die Old Creek Road einbog, blockierten die Räder. In diesem Moment zerriß ein greller Blitz den Himmel.
Wenn sie nicht sowieso schon heftig gebremst hätte, wäre der Baum direkt auf sie draufgefallen. So verfehlte er mit der ganzen Wucht seines Aufpralls, der das Auto wie ein Erdbeben erschütterte, den Kühler nur um wenige Zentimeter. Der mächtige Stamm des Baums und seine vielen Äste versperren jetzt unüberwindbar den Weg zur
Stadt. Elena war gefangen, ihr einziger Heimweg blockiert. Sie war allein, es gab kein Entkommen vor der schrecklichen Macht... Macht! Das war es; das war der Schlüssel. „Je stärker deine Kräfte sind, desto mehr binden dich die Gesetze der Dunkelheit.“ Fließendes Wasser! Elena legte den Rückwärtsgang ein. Sie wendete und gab Gas. Der weiße Schemen drehte sich, ballte sich zusammen und stürzte hinab.
Er verfehlte sie so knapp wie der Baumstamm, und dann raste sie die Old Creek Road hinunter mitten ins Herz des Sturms.
Sie wurde immer noch verfolgt. Elena hatte nur einen Gedanken. Sie mußte fließendes Wasser überqueren, um das Ding da hinter sich zu lassen. Blitze zuckten über den Himmel.
Sie sah, wie andere Bäume umstürzten, doch sie wich ihnen aus. Jetzt konnte es nicht mehr weit sein. Der Fluß war auf der linken Seite durch den niederpeitschenden Eisregen bereits zu erkennen. Und dann sah sie die Brücke. Sie hatte es geschafft!
Schnee flog auf die Windschutzscheibe, doch beim nächsten Streich der Scheibenwischer erkannte sie die schwarzen Wasser flüchtig wieder. Das war es! Die Einbiegung mußte hier sein!
Das Auto rutschte auf die Brücke. Elena fühlte, wie die Räder auf den glitschigen Planken durchdrehten. Verzweifelt versuchte sie das seitliche Weggleiten abzufangen, aber sie konnte nicht richtig sehen, und es war nicht genug Platz...
Und dann brach sie durch das Geländer. Elena hörte Schreie, doch sie schienen nichts mit ihr zu tun zu haben. Der Fluß brandete um sie herum auf, und dann gab es nur noch Chaos und Schmerz. Ein Fenster wurde von den herumwirbelnden Holztrümmern zerschmettert, dann ein
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