Tagebuch Eines Vampirs 06. Seelen Der Finsternis
gemacht hätten, wäre sie sich nicht sicher gewesen, was dahintersteckte. Sie vermisste Stefano so verzweifelt, dass sie kaum essen, kaum schlafen konnte. Er war wie ein Teil ihres Geistes, der ständig in Flammen stand, wie ein Phantom, das niemals weggehen würde.
Nicht einmal ihr Tagebuch würde heute Nacht helfen. Alles, worüber sie schreiben konnte, waren schmerzhafte Erinnerungen an die schönen Zeiten, die sie und Stefano gemeinsam verbracht hatten. Wie schön es gewesen war, als sie einfach den Kopf drehen konnte und wusste, dass sie ihn sehen würde– welch ein Luxus, welch ein Privileg! Und jetzt gab es dieses Privileg nicht mehr und an seine Stelle waren qualvolle Verwirrung, Schuldgefühle und Angst getreten. Was geschah in diesem Augenblick mit ihm, da sie nicht länger das Privileg hatte, den Kopf drehen und ihn ansehen zu können? Taten sie ihm… weh?
Oh Gott, wenn ich doch nur…
Wenn ich doch nur argwöhnischer gewesen wäre, was Damon betrifft…
Wenn ich doch nur erraten hätte, dass er in dieser letzten Nacht etwas vorhatte.
Wenn nur… wenn nur…
Es wurde zu einem Refrain, der im gleichen Rhythmus wie ihr Herz hämmerte. Sie schluchzte, die Augen fest geschlossen, und ballte die Fäuste.
Wenn ich weiter so empfinde– wenn ich zulasse, dass es mich zerstört–, werde ich zu einem unendlich winzigen Punkt im Weltraum werden. Ich werde zu Nichts zerquetscht werden– und selbst das wird besser sein als dieses ungeheure Verlangen nach ihm.
Elena hob den Kopf… und blickte auf ihren Kopf hinab, der auf ihrem Tagebuch lag.
Sie sog scharf die Luft ein.
Einmal mehr war ihre erste Reaktion der Gedanke, dass sie tot sei. Und dann begriff sie langsam, benommen von so vielen Tränen, dass es wieder geschehen war.
Sie hatte ihren Körper verlassen.
Diesmal hatte sie, soweit sie das beurteilen konnte, nicht einmal eine bewusste Entscheidung in Bezug auf den Ort getroffen, an den sie gehen wollte. Sie flog, so schnell, dass sie nicht sagen konnte, in welche Richtung. Es war, als würde sie gezogen, als sei sie der Schweif eines Kometen, der mit hohem Tempo abwärtsschoss.
An einem Punkt begriff sie mit vertrautem Entsetzen, dass sie durch Dinge hindurchglitt, und dann beschrieb sie plötzlich eine Kurve, als sei sie das Ende einer Peitsche, die jemand aus Leibeskräften knallen ließ, und schließlich wurde sie in Stefanos Zelle katapultiert.
Sie schluchzte noch immer, als sie in der Zelle landete, unsicher, ob sie schwerelos war oder feste Konturen besaß und der Schwerkraft gehorchte– und für den Moment interessierte sie es auch nicht. Das Einzige, was sie wahrnahm, war Stefano, abgemagert, aber im Schlaf lächelnd. Und dann wurde sie auf ihn geworfen, in ihn hinein, und immer noch weinend erhob sie sich über ihn so leicht wie eine Feder und Stefano erwachte.
» Oh, kannst du mich nicht mal ein paar Minuten in Frieden schlafen lassen?«, blaffte Stefano und fügte einige italienische Ausdrücke hinzu, die bisher zu hören Elena niemals einen Grund gehabt hatte.
Elena brach sofort in Tränen aus und schluchzte so lautstark, dass sie Stefanos Trost zuerst gar nicht wahrnahm. Sie taten ihm schreckliche Dinge an, und sie benutzten dazu ihr Bild, das Bild Elenas. Es war einfach zu schrecklich. Sie konditionierten Stefano, sie zu hassen. Sie hasste sich selbst. Alle auf der ganzen Welt hassten sie…
» Elena! Elena, weine nicht, Liebste!«
Dumpf richtete Elena sich auf und erhaschte einen kurzen Blick auf Stefanos Brust, bevor sie von Neuem zu schluchzen begann und versuchte, sich die Nase an Stefanos Gefängnisuniform abzuwischen, die aussah, als könnte sie durch alles, was sie möglicherweise tat, nur verbessert werden.
Es gelang ihr natürlich nicht; ebenso wenig spürte sie den Arm, der sie sanft umfasste. Denn sie hatte ihren Körper nicht mitgebracht.
Aber dennoch hatte sie ihre Tränen, und eine kalte, telegrammharte Stimme in ihr sagte: Vergeude sie nicht, Idiotin! Benutze diese Tränen. Wenn du schluchzen willst, schluchze über seinem Gesicht und seinen Händen. Und übrigens, ja, alle hassen dich.
Selbst Matt hasst dich und Matt mag jeden, fuhr die winzige, grausame Stimme fort, und Elena ergab sich einem neuerlichen Schluchzanfall, wobei sie geistesabwesend die Wirkung einer jeden Träne registrierte. Jeder Tropfen färbte die weiße Haut, auf die er fiel, rosig, und die Farbe breitete sich nach außen hin aus, als sei Stefano ein Teich. Und Elena ruhte auf ihm, Wasser
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