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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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Gemüsehändler verhaftet worden, er hatte zwei Juden im Haus. Das ist ein schwerer Schlag für uns, nicht nur, dass die armen Juden jetzt am Rand des Abgrunds stehen, auch für ihn ist es schrecklich. Die Welt steht hier auf dem Kopf. Die anständigsten Menschen werden in Konzentrationslager, Gefängnisse und einsame Zellen geschickt, und der Abschaum regiert über Jung und Alt, Arm und Reich. Der Eine fliegt durch den Schwarzhandel auf, der Zweite dadurch, dass er Juden versteckt hat. Niemand, der nicht bei der NSB ist, weiß, was morgen passiert.
    Auch für uns ist die Verhaftung des Mannes ein schwerer Verlust. Bep kann und darf die Mengen Kartoffeln nicht anschleppen. Das Einzige, was wir tun können, ist, weniger zu essen. Wie das gehen wird, schreibe ich dir noch, aber angenehm wird es sicher nicht sein. Mutter sagt, dass wir morgens kein Frühstück bekommen, mittags Brei und Brot, abends Bratkartoffeln und eventuell ein- oder zweimal die Woche Gemüse oder Salat, mehr nicht. Das heißt hungern. Aber alles ist nicht so schlimm, wie entdeckt zu werden.
    Deine Anne M. Frank

Freitag, 26. Mai 1944
    Liebste Kitty!
    Endlich, endlich bin ich so weit, dass ich ruhig an meinem Tischchen vor dem spaltbreit offenen Fenster sitzen und dir alles schreiben kann.
    Ich fühle mich so elend wie seit Monaten nicht, sogar nach dem Einbruch war ich innerlich und äußerlich nicht so kaputt. Einerseits: der Gemüsemann, die Judenfrage, die im ganzen Haus ausführlich besprochen wird, die ausbleibende Invasion, das schlechte Essen, die Spannung, die miserable Stimmung, die Enttäuschung wegen Peter, und andererseits: Beps Verlobung, Pfingstempfänge, Blumen, Kuglers Geburtstag, Torten und Geschichten von Kabaretts, Filmen und Konzerten. Diesen Unterschied, diesen großen Unterschied gibt es immer. An einem Tag lachen wir über das Komische an unserer Untertauchsituation, aber am nächsten Tag, an viel mehr Tagen, haben wir Angst, und man kann die Spannung und die Verzweiflung auf unseren Gesichtern lesen. Miep und Kugler spüren am stärksten die Last, die wir ihnen machen, Miep durch ihre Arbeit und Kugler durch die kolossale Verantwortung für uns acht, eine Verantwortung, die ihm manchmal zu groß wird. Dann kann er fast nicht mehr sprechen vor unterdrückter Nervosität und Aufregung. Kleiman und Bep sorgen auch gut für uns, sehr gut sogar, aber sie können das Hinterhaus manchmal vergessen, auch wenn es nur für ein paar Stunden oder einen Tag oder zwei ist. Sie haben ihre eigenen Sorgen, Kleiman wegen seiner Gesundheit, Bep wegen ihrer Verlobung, die gar nicht so rosig aussieht. Und neben diesen Sorgen haben sie auch ihre Abwechslung, Ausgehen, Besuche, das Leben von normalen Menschen. Bei ihnen weicht die Spannung manchmal, auch wenn es nur für kurze Zeit ist. Bei uns weicht sie niemals, zwei Jahre lang nicht. Und wie lange wird sie uns noch drücken?
    Die Kanalisation ist wieder verstopft. Es darf kein Wasser ablaufen, wenn, dann nur tropfenweise. Wir dürfen nicht zum Klo oder müssen eine Bürste mitnehmen. Das schmutzige Wasser bewahren wir in einem großen Steinguttopf auf. Für heute können wir uns behelfen, aber was ist, wenn der Klempner es nicht allein schafft? Die von der Stadt kommen nicht vor Dienstag.
    Miep hat uns ein Rosinenbrot mit der Aufschrift »Fröhliche Pfingsten« geschickt. Das klingt fast wie Spott, unsere Stimmung und unsere Angst sind wirklich nicht »fröhlich«.
    Wir sind ängstlicher geworden nach der Angelegenheit mit dem Gemüsehändler. Von allen Seiten hört man wieder »pst«, alles geschieht leiser. Die Polizei hat dort die Tür aufgebrochen, davor sind wir also auch nicht sicher. Wenn auch wir einmal … Nein, das darf ich nicht schreiben, aber die Frage lässt sich heute nicht wegschieben, im Gegenteil. All die einmal durchgemachte Angst steht wieder mit ihrem ganzen Schrecken vor mir.
    Heute Abend um acht Uhr musste ich alleine nach unten, zum Klo. Niemand war unten, alle saßen am Radio. Ich wollte mutig sein, aber es war schwer. Ich fühle mich hier oben noch immer sicherer als allein in dem großen, stillen Haus. Allein mit diesen Poltergeräuschen von oben und dem Tuten der Autohupen auf der Straße. Ich fange an zu zittern, wenn ich mich nicht beeile und auch nur einen Moment über die Situation nachdenke.
    Miep ist nach dem Gespräch mit Vater viel netter und herzlicher zu uns geworden. Aber das habe ich dir noch gar nicht erzählt. Miep kam eines Nachmittags mit

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