Tagebuch (German Edition)
feuerrotem Kopf zu Vater und fragte ihn geradeheraus, ob wir annähmen, dass sie auch vom Antisemitismus angesteckt wären. Vater erschrak gewaltig und redete ihr den Verdacht aus. Aber etwas ist hängen geblieben. Sie kaufen mehr für uns ein, interessieren sich mehr für unsere Schwierigkeiten, obwohl wir ihnen damit sicher nicht zur Last fallen dürfen. Es sind doch so herzensgute Menschen!
Ich frage mich immer wieder, ob es nicht besser für uns alle gewesen wäre, wenn wir nicht untergetaucht wären, wenn wir nun tot wären und dieses Elend nicht mitmachen müssten und es vor allem den anderen ersparten. Aber auch davor scheuen wir zurück. Wir lieben das Leben noch, wir haben die Stimme der Natur noch nicht vergessen, wir hoffen noch, hoffen auf alles.
Lass nur schnell was passieren, notfalls auch Schießereien. Das kann uns auch nicht mehr zermürben als diese Unruhe! Lass das Ende kommen, auch wenn es hart ist, dann wissen wir wenigstens, ob wir letztlich siegen werden oder untergehen.
Deine Anne M. Frank
Mittwoch, 31. Mai 1944
Liebe Kitty!
Samstag, Sonntag, Montag und Dienstag war es so warm, dass ich keinen Füller in der Hand halten konnte, darum war es mir auch unmöglich, dir zu schreiben. Am Freitag war die Kanalisation kaputt, am Samstag ist sie gerichtet worden. Nachmittags hat uns Frau Kleiman besucht und eine ganze Menge von Jopie erzählt, unter anderem, dass sie mit Jacque van Maarssen in einem Hockey-Club ist. Am Sonntag kam Bep und schaute nach, ob nicht eingebrochen war, und blieb zum Frühstück bei uns. Am Montag, dem zweiten Pfingstfeiertag, tat Herr van Santen Dienst als Versteckbewacher, und am Dienstag durften die Fenster endlich wieder geöffnet werden. So ein schönes, warmes, man kann ruhig sagen heißes Pfingsten hat es selten gegeben. Hitze ist hier im Hinterhaus schrecklich. Um dir einen Eindruck von den vielen Klagen zu verschaffen, werde ich dir kurz die warmen Tage beschreiben:
Samstag: »Herrlich, was für ein Wetter!«, sagten wir morgens alle. »Wenn es nur etwas weniger warm wäre«, sagten wir mittags, als die Fenster geschlossen werden mussten.
Sonntag: »Nicht auszuhalten, diese Hitze! Die Butter schmilzt, es gibt kein kühles Fleckchen im Haus, das Brot wird trocken, die Milch verdirbt, kein Fenster darf geöffnet werden. Wir armen Ausgestoßenen sitzen hier und ersticken, während die anderen Leute Pfingstferien haben.« (So Frau van Daan.)
Montag: »Meine Füße tun mir weh, ich habe keine dünnen Kleider, ich kann bei dieser Hitze nicht abwaschen.« Geklage von morgens früh bis abends spät, es war äußerst unangenehm.
Ich kann noch immer keine Hitze aushalten und bin froh, dass heute der Wind ordentlich bläst und die Sonne trotzdem scheint.
Deine Anne M. Frank
Freitag, 2. Juni 1944
Beste Kitty!
»Wer zum Dachboden geht, soll einen großen Regenschirm mitnehmen, am besten ein Herrenmodell!« Dies zum Schutz vor Regen, der von oben kommt. Es gibt ja ein Sprichwort, das heißt: »Hoch und trocken, heilig und sicher.« Aber es gilt bestimmt nicht für Kriegszeiten (Schießen) und Versteckte (Katzenklo!). Tatsächlich hat sich Mouschi eine Gewohnheit daraus gemacht, ihr Geschäft auf ein paar Zeitungen oder zwischen die Bodenritzen zu deponieren, sodass nicht nur die Angst vor Geplätscher, sondern eine noch größere Furcht vor entsetzlichem Gestank sehr begründet ist. Weiß man nun, dass auch das neue Moortje aus dem Lager an dem gleichen Laster leidet, dann kann sich sicher jeder, der je eine nicht stubenreine Katze gehabt hat, vorstellen, was für Gerüche durch unser Haus schweben.
Ferner habe ich noch ein brandneues Anti-Schieß-Rezept mitzuteilen. Bei lautem Knallen eile man zur nächstgelegenen Holztreppe, renne diese hinunter und wieder hinauf und sorge dafür, dass man bei einer Wiederholung mindestens einmal nach unten fällt. Mit den so entstandenen Schrammen und dem Lärm, den das Laufen und Fallen macht, hat man genug zu tun, um das Schießen weder zu hören noch daran zu denken. Die Schreiberin dieser Zeilen hat dieses Rezept mit viel Erfolg angewandt!
Deine Anne M. Frank
Montag, 5. Juni 1944
Liebe Kitty!
Neue Unannehmlichkeiten im Hinterhaus. Streit zwischen Dussel und Franks über die Butterverteilung. Kapitulation Dussels. Dicke Freundschaft zwischen Frau van Daan und Letztgenanntem, Flirten, Küsschen und freundliches Lächeln. Dussel fängt an, Sehnsucht nach Frauen zu bekommen.
Van Daans wollen keinen Kräuterkuchen für
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