Tagebuch (German Edition)
Kuglers Geburtstag backen, weil wir selbst auch keinen essen. Wie kleinlich! Oben schlechte Laune. Frau van Daan erkältet. Dussel hat Bierhefepillen ergattert, wir bekommen nichts ab.
Einnahme von Rom durch die fünfte Armee. Die Stadt ist weder verwüstet noch bombardiert worden. Riesenpropaganda für Hitler.
Wenig Gemüse und Kartoffeln, ein Paket Brot verdorben.
Die neue Lagerkatze verträgt keinen Pfeffer, nimmt das Katzenklo als Schlafplatz und benutzt die Holzwolle zum Verpacken als Klo. Unmöglich zu behalten.
Das Wetter ist schlecht. Anhaltende Bombardierungen auf Pas de Calais und die französische Küste.
Dollars lassen sich nicht verkaufen, Gold noch weniger, der Boden der schwarzen Kasse ist schon zu sehen. Wovon werden wir nächsten Monat leben?
Deine Anne
Dienstag, 6. Juni 1944
Liebste Kitty!
»This is D-day«, sagte um zwölf Uhr das englische Radio, und mit Recht! »This is the day«, die Invasion hat begonnen!
Heute Morgen um acht Uhr berichteten die Engländer: Schwere Bombardements auf Calais, Boulogne, Le Havre und Cherbourg sowie Pas de Calais (wie üblich). Ferner Sicherheitsmaßnahmen für die besetzten Gebiete: Alle Menschen, die in einer Zone von 35 km von der Küste wohnen, müssen sich auf Bombardierungen vorbereiten. Wenn möglich, werden die Engländer eine Stunde vorher Flugblätter abwerfen.
Deutschen Berichten zufolge sind englische Fallschirmtruppen an der französischen Küste gelandet. »Englische Landungsschiffe im Kampf mit deutschen Marinesoldaten«, sagt der BBC.
Entscheidung vom Hinterhaus beim Frühstück um neun Uhr: »Dies ist eine Probelandung, genau wie vor zwei Jahren bei Dieppe.« Sendungen in Deutsch, Niederländisch, Französisch und anderen Sprachen um zehn Uhr: »The invasion has begun!« Also doch die »echte« Invasion.
Englische Sendung – in Deutsch – um elf Uhr: Rede von Oberbefehlshaber General Dwight Eisenhower.
Englische Sendung – in Englisch – um zwölf Uhr: »This is D-day.« General Eisenhower sprach zum französischen Volk: »Stiff fighting will come now, but after this the victory. The year 1944 is the year of complete victory, good luck!«
Englische Sendung – in Englisch – um ein Uhr: 11 000 Flugzeuge stehen bereit und fliegen unaufhörlich hin und her, um Truppen abzusetzen und hinter den Linien zu bombardieren. 4000 Landefahrzeuge und kleinere Schiffe legen unaufhörlich zwischen Cherbourg und Le Havre an. Englische und amerikanische Truppen sind schon in schwere Gefechte verwickelt. Reden von Gerbrandy, vom belgischen Premierminister, von König Haakon von Norwegen, de Gaulle für Frankreich, dem König von England und, nicht zu vergessen, von Churchill.
Das Hinterhaus ist in Aufruhr. Sollte denn nun wirklich die lang ersehnte Befreiung nahen, die Befreiung, über die so viel gesprochen wurde, die aber zu schön, zu märchenhaft ist, um je wirklich werden zu können? Sollte dieses Jahr, dieses 1944, uns den Sieg schenken? Wir wissen es noch nicht, aber die Hoffnung belebt uns, gibt uns wieder Mut, macht uns wieder stark. Denn mutig müssen wir die vielen Ängste, Entbehrungen und Leiden durchstehen. Nun kommt es darauf an, ruhig und standhaft zu bleiben, lieber die Nägel ins Fleisch zu drücken, als laut zu schreien. Schreien vor Elend können Frankreich, Russland, Italien und auch Deutschland, aber wir haben nicht das Recht dazu!
Kitty, das Schönste an der Invasion ist, dass ich das Gefühl habe, dass Freunde im Anzug sind. Die schrecklichen Deutschen haben uns so lange unterdrückt und uns das Messer an die Kehle gesetzt, dass Freunde und Rettung alles für uns sind. Nun gilt es nicht mehr den Juden, nun gilt es den Niederlanden und dem ganzen besetzten Europa.
Vielleicht, sagt Margot, kann ich im September oder Oktober doch wieder zur Schule gehen.
Deine Anne M. Frank
P.S. Ich werde dich mit den neuesten Berichten auf dem Laufenden halten! Nachts und am frühen Morgen landeten Stroh- und Schaufensterpuppen hinter den deutschen Stellungen. Diese Puppen explodierten, als sie den Boden berührten. Auch viele Fallschirmjäger landeten. Sie waren schwarz angemalt, um nicht aufzufallen. Morgens um sechs Uhr landeten die ersten Schiffe, nachdem die Küste in der Nacht mit 5 Millionen Kilogramm Bomben bombardiert worden war. 20 000 Flugzeuge waren heute in Aktion. Die Küstenbatterien der Deutschen waren bei der Landung selbst schon kaputt, ein kleiner Brückenkopf ist schon gebildet worden. Alles geht gut,
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