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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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daß mir einzelnes davon ziemlich vollständig gelingen würde, aber mit jedem deutlichen Fehler – und die können nicht ausbleiben – wird das Ganze, das Leichte und das Schwere, stocken und ich werde mich im Kreise zurückdrehn müssen. Der beste Rat bleibt deshalb, möglichst ruhig alles hinzunehmen, als schwere Masse sich verhalten und fühle man sich selbst fortgeblasen, keinen unnötigen Schritt sich ablocken lassen, den andern mit Tierblick anschauen, keine Reue fühlen, sich dem Bewußtlosen hingeben, das man ferne glaubt, trotzdem man sich daran gerade verbrennt, seine eckigen unveränderlichen Gliedmaßen sich nach Belieben legen lassen, kurz das was vom Leben als Gespenst noch übrig ist mit eigener Hand niederdrücken d. h. die letzte grabmäßige Ruhe noch vermehren und nichts außer ihr mehr bestehen lassen. Eine charakteristische Bewegung eines solchen Zustandes ist das Hinfahren des kleinen Fingers über die Augenbrauen.
      Kleiner Ohnmachtsanfall gestern im Kafe City mit Löwy. Das Herabbeugen über ein Zeitungsblatt um ihn zu verbergen
      Goethes schöne Silhoue tte in ganzer Gestalt. Nebeneindruck des Widerlichen beim Anblick dieses vollkommenen menschlichen Körpers, da ein Übersteigen dieser Stufe außerhalb der Vorstellbarkeit ist und diese Stufe doch nur zusammengesetzt und zufällig aussieht. Die aufrechte Haltung, die hängenden Arme, der schmale Hals, die Kniebeugung.

      Die Ungeduld und Trauer wegen meiner Mattigkeit nährt sich besonders durch die niemals aus den Augen gelassene Aussicht in die Zukunft, die mir dadurch vorbereitet wird. Was für Abende, Spaziergänge, Verzweiflung im Bett und auf dem Kanapee,

      7 II 12 stehn mir noch bevor, ärger als die schon überstandenen!
    Gestern in der Fabrik. Die Mädchen in ihren an und für sich unerträglich schmutzigen und gelösten Kleidern, mit den wie beim Erwachen zerworfenen Frisuren, mit dem vom unaufhörlichen Lärm der Transmissionen und von der einzelnen zwar automatischen aber unberechenbar stockenden Maschine festgehaltenen Gesichtsausdruck sind nicht Menschen, man grüßt sie nicht, man entschuldigt sich nicht, wenn man sie stößt, ruft man sie zu einer kleinen Arbeit, so führen sie sie aus, kehren aber gleich zur Maschine zurück, mit einer Kopfbewegung zeigt man ihnen wo sie eingreifen sollen, sie stehn in Unterröcken da, der kleinsten Macht sind sie überliefert und haben nicht einmal genug ruhigen Verstand, um diese Macht mit Blicken und Verbeugungen anzuerkennen und sich geneigt zu machen. Ist es aber sechs Uhr und rufen sie das einander zu, binden sie die Tücher vom Hals und von den Haaren los, stauben sie sich ab mit einer Bürste, die den Saal umwandert und von Ungeduldigen herangerufen wird, ziehn sie die Röcke über die Köpfe und bekommen sie die Hände rein so gut es geht, so sind sie schließlich doch Frauen, können trotz Blässe und schlechten Zähnen lächeln, schütteln den erstarrten Körper, man kann sie nicht mehr stoßen, anschauen oder übersehn, man drückt sich an die schmierigen Kisten um ihnen den Weg freizumachen, behält den Hut in der Hand, wenn sie guten Abend sagen und weiß nicht, wie man es hinnehmen soll, wenn eine unseren Winterrock bereithält, daß wir ihn anziehn.
      8 II 12 Goethe: Meine Lust am Hervorbringen war grenzenlos.
      Ich bin nervöser, schwächer geworden und habe einen großen Teil der Ruhe, auf die ich vor Jahren stolz war, verloren. Als ich heute die Karte von Baum bekam in der er schreibt, daß er doch die Conference zum ostjüdischen Abend nicht halten kann und ich also glauben mußte, daß ich die Sache werde übernehmen müssen, war ich ganz unbeherrschbaren Zuckungen überlassen, wie kleine Feuerchen sprang das Aufklopfen der Adern den Körper entlang; saß ich, zitterten mir unter dem Tisch die Knie und die Hände mußte ich aneinanderdrücken. Ich werde ja einen guten Vortrag halten, das ist sicher, auch wird die aufs höchste gesteigerte Unruhe an dem Abend selbst mich so zusammenziehn, daß nicht einmal für Unruhe Raum sein wird und die Rede aus mir geradewegs kommen wird wie aus einem Flintenlauf. Es ist aber möglich, daß ich nachher niederfallen und jedenfalls es lange nicht werde verwinden können. So wenig Körperkraft! Sogar diese paar Worte sind unter der Beeinflussung der Schwäche geschrieben.

      Gestern Abend bei Baum mit Löwy. Meine Lebendigkeit. Letzthin hat Löwy bei Baum eine schlechte hebräische Geschichte “Das Auge”

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