Tagebücher: 1909-1923
es mit meinen eigenen Angelegenheiten, wegen deren ich zu ihm gekommen bin (Gründung der Fabrik) und die wir schon längst durchgesprochen haben, er hofft unbewußt, mich auf die se Weise zu fangen und zu seinen Geschichten wieder verlocken zu können. Nun sage ich etwas, halte aber während meiner Worte die Hand ausdrücklich zum Abschied hin und werde so frei. Er erzählt übrigens sehr gut, in seinem Erzählen mischt sich das genaue Ausgebreitetsein der Schriftsätze mit der lebhaften Rede, wie man sie öfters bei so fetten, schwarzen, vorläufig gesunden, mittelgroßen, von fortwährendem Zigarettenrauchen erregten Juden findet. Gerichtliche Ausdrücke geben der Rede Halt. Paragraphen werden genannt, deren hohe Zahl sie in die Ferne zu verweisen scheint. Jede Geschichte wird von Anfang an entwickelt, Rede und Gegenrede wird vorgebracht und durch persönliche Zwischenbemerkungen förmlich geschüttelt, nebensächliches, an das niemand denken würde, wird zuerst erwähnt, dann nebensächlich genannt und bei Seite geschoben, (“ein Mann, wie er heißt, ist Nebensache” – ) der Zuhörer wird persönlich herangezogen, ausgefragt, während die Geschichte nebenan sich verdichtet, manchmal wird der Zuhörer sogar vor einer Geschichte, die ihn gar nicht interessieren kann, natürlich nutzlos ausgefragt, um irgend eine provisorische Beziehung herzustellen, eingeschobene Bemerkungen des Zuhörers werden nicht sofort, was ärgerlich wäre (Kubin) sondern zwar bald aber doch erst im Laufe der Erzählung an richtiger Stelle eingelegt, was als sachliche Schmeichelei den Zuhörer in die Geschichte hineinzieht, weil es ihm ein ganz besonderes Recht giebt, hier Zuhörer zu sein.
14. X 11 Gestern abend im Savoy. Sulamit von A. Goldfaden. Eigentlich eine Oper, aber jedes gesungene Stück heißt Operette, mir scheint schon diese Kleinigkeit auf ein eigensinniges, übereiltes, auch aus falschen Gründen heißgewordenes, die europäische Kunst in einer zum Teil zufälligen Richtung durchschneidendes künstlerisches Bestreben zu deuten. Die Geschichte: Ein Held rettet ein Mädchen, das sich – “ich bet Dir großer starker Gott” – in der Wüste verirrt und vor Durstqualen in eine Cisterne gestürzt hat. Sie schwören einander Treue (meine Teuere, meine Liebst, mein Brillant gefunden in der Wüste) unter Anrufung des Brunnens und einer rotäugigen Wüstenkatze. Das Mädchen, Sulamith (Fr. Tschissik), wird von Cingitang, dem wilden Diener Absolons (Pipes) nach Betlehem zu ihrem Vater Monoach (Tschissik) zurückge führt, während Absolon (Klug) noch eine Reise nach Jerusalem macht; dort aber verliebt er sich in Awigail ein reiches Mädchen aus Jerusalem (Klug), vergißt an Sulamit und heiratet. Sulamit wartet auf den Geliebten zuhause in Betlehem. “Viele Menschen gehen nach Jeruscholajim und kommen beschulim”. “Er der Feiner will mir untreu werden! ” Durch verzweifelte Ausbrüche erwirbt sie sich eine auf alles gefaßte Zuversicht und beschließt sich wahnsinnig zu stellen um nicht heiraten zu müssen und warten zu können. “Mein Wille ist von Eisen, mein Herz mach ich zur Festung”. Und noch in dem Wahnsinn, den sie jetzt jahrelang spielt, genießt sie traurig und laut mit erzwungener Erlaubnis aller die Erinnerung an den Geliebten, denn ihr Wahnsinn handelt nur von der Wüste, dem Brunnen und der Katze. Durch ihren Wahnsinn vertreibt sie gleich ihre 3 Freier, mit denen Manoach nur durch Veranstaltung einer Lotterie in Frieden auskommen konnte: Joef Gedoni (Urich) “ich bin der stärkste jüdische Held”, Avidanov, den Gutsbesitzer (R. Pipes) und den bauchigen Priester Nathan (Löwy) der sich über allen fühlt “Gebt Sie mir, ich sterb nach ihr”. Absolon hatte Unglück ein Kind ist ihm von einer Wüstenkatze totgebissen worden, das zweite fällt in einen Brunnen. Er erinnert sich seiner Schuld, gesteht Awigail alles, “Mäßige Dein Gewein”. “Hör auf mit Dein Wort mir mein Herz zu spalten”. “Leider ist alles Eines, was ich sage”. Einige Gedankenkreise bilden sich um beide und vergehn. Soll Absolon zu Sulamith zurück und Awigail verlassen? Auch Sulamit verdient Rachmones. Endlich entläßt ihn Awigail. In Betlehem klagt Manoach über seiner Tochter “Wehe o meine alten Jahre”. Absolon heilt sie mit seiner Stimme. “Das übrige Vater werde ich Dir schon später erzählen”. Awigail versinkt dort unten im Weingarten Jerusalems, Absolon hat als Rechtfertigung nur sein Heldentum.
Am Schluß
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