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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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die ich aber, trotzdem ich scheinbar ihretwegen diesen Weg’ machte, besonders rasch gieng, so daß ich mir nichts als ihr Dasein gemerkt habe. Das letzte Zimmer aller Wohnungen war aber wieder ein Bordell und hier blieb ich. Die der Tür durch die ich eintrat gegenüberliegende Wand, also die letzte Wand der Häuserreihe war entweder aus Glas oder überhaupt durchbrochen und ich wäre beim Weitergehn hinuntergefallen. Es ist sogar wahrscheinlicher, daß sie durchbrochen war, denn es lagen gegen den Rand des Fußbodens die Dirnen, klar waren mir zwei, auf der Erde, der einen hieng der Kopf ein wenig über die Kante hinaus in die freie Luft hinunter. Links war eine feste Wand, dagegen war die Wand rechts nicht vollkommen, man sah in den Hof hinunter wenn auch nicht bis auf seinen Grund und eine baufällige graue Treppe führte in mehreren Abteilungen hinunter. Nach dem Licht im Zimmer zu schließen, war der Plafond so wie in den andern Zimmern. Ich hatte hauptsächlich mit der Dirne zu tun, deren Kopfherabhieng, Max mit der links neben ihr liegenden. Ich betastete ihre Beine und blieb dann dabei, ihre Oberschenkel regelmäßig zu drücken. Mein Vergnügen dabei war so groß, daß ich mich wunderte, daß man für diese Unterhaltung, welche doch gerade die schönste war, noch nichts zahlen müsse. Ich war überzeugt daß ich und ich allein die Welt betrüge. Dann erhob die Dirne bei ruhenden Beinen ihren Oberleib und wandte mir den Rücken zu, der zu meinem Schrecken mit großen siegellackroten Kreisen mit erblassenden Rändern und dazwischen versprengten roten Spritzern bedeckt war. Jetzt bemerkte ich, daß ihr ganzer Körper davon voll war, daß ich meinen Daumen auf ihren Schenkeln in solchen Flecken hielt und daß auch auf meinen Fingern diese roten Partikelchen wie von einem zerschlagenen Siegel lagen. Ich trat zurück unter eine Anzahl Männer die an der Wand nahe der Mündung der Treppe, auf der ein kleiner Verkehr stattfand, zu warten schienen. Sie warteten so, wie Männer auf dem Land am Sonntagmorgen auf dem Markt zusammenstehen. Deshalb war auch Sonntag. Hier spielte sich auch die komische Szene ab, indem ein Mann, vor dem ich und Max Grund hatten sich zu fürchten, weggieng, dann die Treppe heraufkam, zu mir trat und während ich und Max mit Angst irgend eine schreckliche Drohung von ihm erwarteten, eine lächerlich einfältige Frage an mich stellte. Dann stand ich dort und sah besorgt zu wie Max ohne Angst in diesem Lokal irgendwo links auf der Erde saß und eine dicke Kartoffelsuppe aß, aus der die Kartoffeln als große Kugeln heraussahen, hauptsächlich eine. Er drückte sie mit dem Löffel, vielleicht mit 2 Löffeln in die Suppe hinein oder wälzte sie bloß.

    10. X 11 Einen sophistischen Artikel für und gegen die Anstalt in die Tetschner- Bodenbacher Zeitung geschrieben.
      Gestern abend auf dem Graben. Mir entgegen drei Schauspielerinnen, die aus der Probe kamen. Es ist so schwer, sich in der Schönheit von 3 Frauen rasch auszukennen, wenn man auch noch 2 Schauspieler ansehn will, die hinter ihnen in dem allzu schwingenden und auch noch beschwingten Schauspielerschritt herankommen. Die zwei, von denen der linke mit seinem jugendlich fetten Gesicht, dem offenen um die starke Gestalt schlagenden Überzieher genug charakteristisch für beide ist, überholen die Damen, der linke auf dem Trottoir, der rechte in der Fahrbahn unten. Der linke faßt seinen Hut hoch oben, greift mit allen 5 Fingern hinein, hebt ihn hoch und ruft (jetzt erst erinnert sich der rechte): Auf Wiedersehn! Gute Nacht! Während aber dieses Überholen und Grüßen die Herren auseinandergebracht hat, gehn die gegrüßten Frauen, wie geführt von der zur Fahrbahn nächsten, die die schwächste und längste, aber auch jüngste und schönste zu sein scheint, ganz unbeirrt mit leichtem ihr abgestimmtes Gespräch kaum unterbrechendem Gruß ihren Weg weiter. Das Ganze schien mir im Augenblick ein starker Beweis dafür zu sein, daß die hiesigen Teaterverhältnisse geordnet und gut geführt sind.
      Vorgestern bei den Juden im Cafe Savoy. Die “Sejdernacht” von Feimann. Zu Zeiten griffen wir (im Augenblick durchflog mich das Bewußtsein dessen) nur deshalb in die Handlung nicht ein, weil wir zu erregt, nicht deshalb weil wir bloß Zuschauer waren.
    12. X 11. Gestern bei Max am Pariser Tagebuch geschrieben. Im Halbdunkel der Rittergasse die in ihrem Herbstkostüm dicke
    warme Rehberger, die wir nur in ihrer Sommerblouse und dem

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