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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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der Vorstellung erwarten wir noch den Schauspieler Löwy, den ich im Staub bewundern möchte. Er soll wie üblich “annoncieren”. “Liebe Gäste, ich danke ihnen in unser aller Namen für ihren Besuch und lade Sie herzlich zur morgigen Vorstellung ein, in welcher das weltberühmte Meisterwerk – vom – zur Aufführung kommen wird. Auf Wiedersehn! ” Ab mit Hüteschwenken. Statt dessen sehn wir den Vorhang einmal festzugehalten, dann wieder versuchsweise ein Stückchen auseinandergezogen werden. Es dauert ziemlich lange. Endlich wird er weit auseinandergezogen, in der Mitte hält ihn ein Knopf zusammen, dahinter sehn wir Löwy seinen Schritt zur Rampe machen und sich nur mit den Händen, das Gesicht uns dem Publikum zugewendet, gegen jemanden wehren, der ihn von unten angreift, bis plötzlich der ganze Vorhang mit seiner obern Drahtbefestigung von Löwy der einen Halt haben will, heruntergerissen und Löwy vor unsern Augen in den Knien einknickend von Pipes der den Wilden gespielt hat, und der sich noch als sei der Vorhang vorgezogen gebückt hält, umfaßt und förmlich mit dem Kopf vom Podium seitwärts hinuntergestoßen wird. Man lauft im seitlichen Saaltrakt zusammen. Den Vorhang vorziehn! ruft man auf der fast ganz enthüllten Bühne, auf der Frau Tschissik mit dem bleichen Sulamitgesicht so beklagenswert steht, kleine Kellner auf Tischen und Sesseln bringen den Vorhang halbwegs in Ordnung, der Wirt sucht den Regierungsvertreter zu beruhigen, der nur den einzigen Wunsch hat wegzukommen und durch diesen Beruhigungsversuch aufgehalten wird, hinter dem Vorhang hört man Frau Tschissik: “Da wollen wir von der Bühne dem Publikum Moral predigen….”; der Verein jüd. Kanzleidiener “Zukunft” der den morgigen Abend in eigener Regie übernommen und vor der heutigen Vorstellung eine ordentliche Generalversammlung abgehalten hat, beschließt, wegen dieses Vorfalles binnen einer halben Stunde eine außerordentliche Versammlung einzuberufen, ein tschechisches Vereinsmitglied prophezeit den Schauspielern, infolge ihres skandalösen Benehmens vollständigen Untergang. Da sieht man plötzlich Löwy, der wie verschwunden war, vom Oberkellner Roubitschek mit den Händen, vielleicht auch mit den Knien zu einer Tür hin gestoßen werden. Er soll einfach herausgeworfen werden. Dieser Oberkellner, der vor jedem Gast auch vor uns früher und später wie ein Hund dasteht, mit hündischer Schnauze die sich über einen großen von demütigen Seitenfalten geschlossenen Mund senkt, hat sein
    16. X 11 Anstrengender Sonntag gestern. Dem Vater hat das ganze Personal gekündigt. Durch gute Reden, Herzlichkeit, Wirkung seiner Krankheit, seiner Größe und frühern
    Stärke, seiner Erfahrung, seiner Klugheit erkämpft er sich in allgemeinen und privaten Unterredungen fast alle zurück. Ein wichtiger Contorist Franz will Bedenkzeit, bis Montag, weil er unserem Geschäftsführer der austritt und das ganze Personal in sein neu zu gründendes Geschäft hinüberziehen möchte, das Wort gegeben hat. Am Sonntag schreibt der Buchha lter er könne doch nicht bleiben, der Roubitschek lasse ihn nicht aus dem Wort. Ich fahre zu ihm nach Zizkov. Seine junge Frau mit runden Wangen länglichem Gesicht und einer kleinen groben Nase wie sie tschechische Gesichter nie verdirbt. Zu langer sehr loser, geblümter und fleckiger Morgenrock. Er wird besonders lang und lose, weil sie besonders eilige Bewegungen macht, um mich zu begrüßen, zur letzten Verschönerung das Album auf dem Tisch richtig zu legen und zu verschwinden, um ihren Mann holen zu lassen. Der Mann mit ähnlichen vielleicht von der sehr abhängigen Frau nachgeahmten eiligen bei vorgebeugtem Oberkörper stark pendelnden Bewegungen, unterdessen der Unterleib auffallend zurückbleibt. Eindruck eines seit 10 Jahren gekannten, oft gesehenen, wenig beachteten Menschen, mit dem man plötzlich in nähere Beziehung kommt. Je weniger ich mit meinem tschechischen Zureden Erfolg habe (er hatte ja schon einen unterschriebenen Kontrakt mit Roubitschek, nur war er Samstag abend durch meinen Vater so bestürzt ge worden, daß er vom Kontrakt nicht gesprochen hatte) desto katzenmäßiger wird sein Gesicht. Ich spiele gegen Schluß ein wenig mit sehr behaglichem Gefühl, so schaue ich mit etwas langgezogenem Gesicht und verkleinerten Augen stumm im Zimmer herum als verfolgte ich etwas Angedeutetes ins Unsagbare. Bin aber nicht unglücklich, als ich sehe daß es wenig Wirkung hat, und ich statt von ihm in

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