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Tagebücher: 1909-1923

Tagebücher: 1909-1923

Titel: Tagebücher: 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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auch bei Richepin, aber dieses Bemerken hätte mich nicht gestört. Wie kühl war ich dagegen als Kind! Ich wünschte mir oft dem Kaiser entgegengestellt zu werden, um ihm seine Wirkungslosigkeit zu zeigen. Und das war nicht Mut, nur Kühle. – Gedichte recitierte er, wie Reden in der Kammer. Er schlug auf den Tisch, als ohnmächtiger Zuseher von Schlachten, mit schwingenden gestreckten Armen machte er den Garden eine Gasse mitten durch den Saal, empereur rief er nur mit dem gehobenen zur Fahne gewordenem Arm und gab ihm in einer Wiederholung förmlich das Echo durch ein unten in der Ebene rufendes Heer. Bei einer Schlachtbeschreibung stieß irgendwo ein Füßchen auf den Boden auf, man sah nach, es war sein Fuß, der sich zu wenig getraut hatte. Es störte ihn aber nicht. – Bei den Grenadieren, die er in einer Übersetzung von Gerard de Nerval vorlas und besonders ehrte war am wenigsten Beifall. – In seiner Jugend wurde das Grab Napoleons einmal im Jahr geöffnet und den Invaliden, die im Zug vorübergeführt wurden, wurde das einbalsamierte Gesicht gezeigt, mehr ein Anblick des Schreckens als der Bewunderung, weil das Gesicht aufgedunsen und grünlich war; man schaffte daher später dieses Graböffnen ab. Richepin sah das Gesicht aber noch auf dem Arm seines Großonkels, der in Afrika gedient hatte und für den der Kommandant das Grab eigens öffnen ließ. – Ein Gedicht, das er recitieren will (er hat ein untrügliches Gedächtnis, wie es bei starkem Temperament eigentlich immer vorhanden sein muß) kündigt er lange vorher an, bespricht es, die künftigen Verse machen schon ein kleines Erdbeben unter diesen Worten, beim ersten Gedicht sagte er sogar er werde es mit seinem ganzen Feuer vortragen. Es geschah. – Beim letzten Gedicht hatte er dann die Steigerung unvermerkt in die Verse zu kommen (Verse von Viktor Hugo) langsam aufzustehen, auch nach den Versen sich nicht mehr zu setzen, die großen Recitationsbewegungen mit der letzten Gewalt seiner Prosa aufzunehmen und zu erhalten. Er schloß mit dem Schwur, daß auch nach 1000 Jahren jedes Stäubchen seines Leichnams, falls es Bewußtsein hätte, bereit sein würde, dem Rufe Napoleons zu folgen. – Das Französisch kurzatmig mit seinen rasch aufeinanderfolgenden Ventilen hielt selbst den einfältigsten Improvisationen stand, zerriß nicht einmal dann wenn er öfters von den Dichtern sprach die das Alltagsleben verschönen, von seiner Phantasie (Augen geschlossen) als der eines Dichters, von seinen Hallucinationen (Augen widerwillig in die Ferne aufgerissen) als denen eines Dichters u. s. w. Hiebei verhüllte er auch manchmal die Augen und enthüllte sie langsam einen Finger nach dem andern wegführend. – Er hat gedient, sein Onkel in Afrika, sein Großvater unter Napoleon, er sang sogar 2 Zeilen eines Kriegsliedes. – 13 XI 11 Und dieser Mann ist wie ich heute erfahren habe, 62 Jahre alt
    14 XI 11 Dienstag. Gestern bei Max, der von seiner Brünner Vorlesung zurückkam.

      Nachmittag beim Einschlafen. Als hätte sich die feste Schädeldecke, die den schmerzlosen Schädel umfaßt tiefer ins Innere gezogen und einen Teil des Gehirnes draußen gelassen im freien Spiel der Lichter und Muskeln.
      Erwachen an einem kalten Herbstmorgen mit gelblichem Licht. Durch das fast geschlossene Fenster dringen und noch vor den Scheiben, ehe man fällt, schweben, die Arme ausgebreitet mit gewölbtem Bauch rückwärtsgebogenen Beinen wie die Figuren auf dem Vorderbug der Schiffe in alter Zeit.
    Vor dem Einschlafen. Es scheint so arg, Junggeselle zu sein, als alter Mann unter schwerer Wahrung der Würde um Aufnahme zu bitten, wenn man einen Abend mit Menschen verbringen will, sein Essen in einer Hand sich nachhause zu tragen, niemanden mit ruhiger Zuversicht faul erwarten können, nur mit Mühe oder Ärger jemanden beschenken, vor dem Haustor Abschied nehmen, niemals mit seiner Frau sich die Treppen hinaufdrängen zu können, kranksein und nur den Trost der Aussicht aus seinem Fenster haben wenn man sich aufsetzen kann, in seinem Zimmer nur Seitentüren haben die in fremde Wohnungen führen, die Fremdheit seiner Verwandten zu spüren bekommen, mit denen man nur durch das Mittel der Ehe befreundet bleiben kann, zuerst durch die Ehe seiner Eltern, dann wenn deren Wirkung vergeht durch die eigene, fremde Kinder anstaunen müssen und nicht immerfort wiederholen dürfen: Ich habe keine, da keine Familie mit einem wächst ein unveränderliches Altersgefühl haben, sich im

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