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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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erfüllt. Die Frau kommt her um sich von der Periode zu reinigen, der Thoraschreiber um sich vor dem Aufschreiben des letzten Satzes eines Toraabschnittes von allen sündigen Gedanken zu reinigen.
    Sitte gleich nach dem Erwachen, die Finger dreimal in Wasser zu tauchen, da die bösen Geister sich in der Nacht auf dem zweiten und dritten Fingerglied niederlassen. Rationalistische Erklärung: Es soll verhindert werden, daß die Finger gleich ins Gesicht fahren, da sie doch im Schlaf und Traum unbeherrscht alle möglichen Körperstellen die Achselhöhlen, den Popo, die Geschlechtsteile berührt haben können.
    Die Garderobe hinter ihrer Bühne ist so schmal, daß wenn einer zufällig hinter dem Türvorhang der Scene vor dem Spiegel steht und ein zweiter an ihm vorbeikommen will, er jenen Vorhang heben und sich wider Willen einen Augenblick lang dem Publikum zeigen muß.
    Aberglaube: Trinkt man aus einem unvollkommenen Glas, bekommen die bösen Geister Eingang in den Menschen.
    Wie wund mir die Schauspieler nach der Vorstellung vorkamen, wie ich mich fürchtete, sie mit einem Wort zu betupfen. Wie ich lieber nach einem flüchtigen Händedruck rasch weggieng, als wäre ich böse und unzufrieden weil die Wahrheit meines Eindrucks auszusprechen so unmöglich war.
    Alle schienen mir falsch außer Max der ruhig einiges Inhaltslose sagte. Falsch aber war der, welcher sich nach einem unverschämten Detail erkundigte, falsch der, welcher eine scherzhafte Antwort auf eine Bemerkung des Schauspielers gab, falsch der Ironische, falsch der welcher seinen mannigfaltigen Eindruck aufzulösen begann, alles Gesindel, das richtiger Weise in die Tiefe des Zuschauerraumes gedrückt, jetzt spät in der Nacht aufstand und seinen Wert wieder bemerkte. (Sehr weit vom Richtigen)
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    28. IX (Oktober 1911) Ein ähnliches Gefühl hatte ich zwar, aber vollkommen schien mir an jenem Abend bei weitem weder Spiel noch Stück. Gerade dadurch aber war ich zu einer besonderen Ehrfurcht vor den Schauspielern verpflichtet. Wer weiß bei kleinen wenn auch vielen Lücken des Eindrucks, wer die Schuld an ihnen trägt. Frau Tschissik trat einmal auf den Saum ihres Kleides und wankte einen Augenblick lang in ihrem princeßartigen Dirnenkleid, wie eine massige Säule, einmal versprach sie sich und wandte sich, um die Zunge zu beruhigen in starker Bewegung der Rückwand zu, trotzdem dies den Worten gerade nicht entsprach; es beirrte mich, aber es verhinderte nicht, den Anflug von Schauern oben auf den Wangenknochen, den ich immer beim Hören ihrer Stimme fühle. Weil aber die andern Bekannten einen viel unreineren Eindruck erhalten hatten als ich, schienen sie mir noch zu einer größern Ehrfurcht verpflichtet als ich, auch deshalb weil meiner Meinung nach ihre Ehrfurcht viel wirkungsvoller gewesen wäre, als meine, so daß ich einen doppelten Grund hatte, ihr Benehmen zu verfluchen.
    "Axiome über das Drama" von Max in der Schaubühne. Hat ganz den Charakter einer Traumwahrheit, wofür auch der Ausdruck "Axiome" paßt. Je traumhafter sie sich aufbläst, desto kühler muß man sie anfassen. Es sind folgende Grundsätze ausgesprochen:
    Das Wesen des Dramas liegt in einem Mangel ist die These.
    Das Drama (auf der Bühne) ist erschöpfender als der Roman, weil wir alles sehn, wovon wir sonst nur lesen.
    Das ist nur scheinbar, denn im Roman kann uns der Dichter, nur das Wichtige zeigen im Drama sehn wir dagegen alles, den Schauspieler, die Dekorationen, daher nicht nur das Wichtige, also weniger. Im Sinne des Romans wäre daher das beste Drama ein ganz anregungsloses z. B. philosophisches Drama, das von sitzenden Schauspielern in einer beliebigen Zimmerdekoration vorgelesen würde.
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    Und doch ist das beste Drama jenes das in Zeit und Raum die meisten Anregungen gibt, sich von allen Anforderungen des Lebens befreit, sich nur auf die Reden, auf die Gedanken in Monologen, auf die Hauptpunkte des Geschehens beschränkt, alles andere durch Anregungen verwaltet und hochgehoben auf einen von Schauspielern, Malern, Regisseuren getragenen Schild nur seinen äußersten Eingebungen folgt.
    Fehler dieser Schlußfolgerung: Sie wechselt ohne es anzuzeigen, den Standpunkt, sieht einmal die Dinge vom Schreibzimmer, einmal vom Publikum. Zugegeben, daß das Publikum nicht alles im Sinne des Dichters sieht, daß ihn selbst die Aufführung überrascht
    29. IX (Oktober) 11 So.
    so hat er doch das Stück mit allen Details in sich gehabt, ist von Detail zu Detail weitergerückt

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