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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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und nur weil er alle Details in den Reden versammelt, hat er ihnen die dramatische Schwere und Gewalt gegeben. Dadurch geräth das Drama in seiner höchsten Entwicklung in eine unerträgliche Vermenschlichung, die herabzuziehn, erträglich zu machen Aufgabe des Schauspielers ist, der die ihm vorgeschriebene Rolle gelockert zerfasert, wehend um sich trägt. Das Drama schwebt also in der Luft, aber nicht als ein vom Sturm getragenes Dach, sondern als ein ganzes Gebäude, dessen Grundmauern mit einer heute doch dem Irrsinn sehr nahen Kraft aus der Erde hinaufgerissen worden sind.
    Manchmal scheint es, daß das Stück oben in den Sofitten ruht, die Schauspieler Streifen davon abgezogen haben, deren Enden sie zum Spiel in den Händen halten oder um den Körper gewickelt haben und daß nur hie und da ein schwer
    abzulösender Streifen einen Schauspieler zum Schrecken des Publikums in die Höhe nimmt.
    Ich träumte heute von einem windhundartigen Esel, der in seinen Bewegungen sehr zurückhaltend war. Ich beobachtete ihn
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    genau weil ich mir der Seltenheit der Erscheinung bewußt war, behielt aber nur die Erinnerung daran zurück, daß mir seine schmalen Menschenfüße wegen ihrer Länge und
    Gleichförmigkeit nicht gefallen wollten. Ich bot ihm frische, dunkelgrüne Cypressenbüschel an, die ich eben von einer alten Züricher Dame (das ganze spielte sich in Zürich ab) bekommen hatte, er wollte sie nicht, schnupperte nur leicht an ihnen; als ich sie aber dann auf einem Tisch liegen ließ, fraß er mir sie so vollständig auf, daß nur ein kaum zu erkennender
    kastanienähnlicher Kern übrig blieb. Später war die Rede davon, daß dieser Esel noch nie auf vieren gegangen sei, sondern sich immer menschlich aufrecht halte und seine silbrig glänzende Brust und das Bäuchlein zeige. Das war aber eigentlich nicht richtig.
    Außerdem träumte ich von einem Engländer, den ich in einer Versammlung, ähnlich jener der Heilsarmee in Zürich kennen lernte. Es waren dort Sitze wie in der Schule, unter der Schreibplatte war nämlich noch ein offenes Fach; als ich einmal hineingriff um etwas zu ordnen, wunderte ich mich, wie leicht man auf der Reise Freundschaften schließt. Damit war offenbar der Engländer gemeint, der kurz darauf zu mir trat. Er hatte helle lose Kleider, die in sehr gutem Zustand waren, nur hinten an den Oberarmen war statt des Kleiderstoffes oder wenigstens über ihm festgenäht, ein grauer, faltiger, ein wenig hängender, streifig zerrissener, wie von Spinnen punktierter Stoff, der sowohl an die Ledereinlagen in Reithosen als auch an den Ärmelschutz der Nätherinnen, Ladenmädchen, Comptoiristinnen erinnerte. Sein Gesicht war gleichfalls mit einem grauen Stoff bedeckt, der sehr geschickte Ausschnitte für Mund, Augen, wahrscheinlich auch für die Nase hatte. Dieser Stoff war aber neu, gerauht eher flanellartig, sehr schmiegsam und weich, von ausgezeichnetem englischen Fabrikat. Mir gefiel das alles so, daß ich begierig war, mit dem Mann bekannt zu werden. Er wollte mich auch in seine Wohnung einladen; da ich aber schon
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    übermorgen wegfahren mußte, zerschlug sich das. Ehe er die Versammlung verließ, zog er sich noch einige offenbar sehr praktische Kleidungsstücke an, die ihn nachdem er sie zugeknöpft hatte ganz unauffallend machten. Trotzdem er mich nicht zu sich einladen konnte, forderte er mich doch auf mit ihm auf die Gasse zu gehn. Ich folgte ihm, wir blieben gegenüber dem Versammlungslokal an einer Trottoirkante stehn, ich unten, er oben, und fanden wiederum nach einigem Gespräch, daß aus der Einladung nichts werden konnte.
    Dann träumte ich, daß Max Otto und ich die Gewohnheit hatten, unsere Koffer erst auf dem Bahnhof zu packen. Da trugen wir z. B. die Hemden durch die Haupthalle zu unsern entfernten Koffern. Trotzdem dies allgemeine Sitte zu sein schien, bewährte es sich bei uns nicht, besonders deshalb weil wir erst knapp vor dem Einfahren des Zuges zu packen anfiengen. Dann waren wir natürlich aufgeregt und hatten kaum Hoffnung noch den Zug zu erreichen, wie erst gute Plätze zu bekommen.
    Trotzdem die Stammgäste und Angestellten des Kaffeehauses die Schauspieler lieben, können sie sich doch den Respekt zwischen den niederwerfenden Eindrücken nicht bewahren, und verachten die Schauspieler als Hungerleider, Herumfahrende, Mitjuden ganz wie in historischen Zeiten. So wollte der Oberkellner den Löwy aus dem Saal werfen, der Türöffner ein früherer Bordellangestellter und

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