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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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schlecht auffasse, während ich keine Zeit, Lust und Fähigkeit hatte ihm eine Hilfe aufzudrängen, die er nicht zu brauchen glaubte. Endlich schämte ich mich vor ihm, daß ich selbst so schlecht achtgab. Auch störte er mich im Verkehr mit Max und sogar durch die Erinnerung daran, daß ich ihn vorher gern hatte, nachher wieder gern haben würde und daß er mein heutiges Benehmen bel nehmen könnte. – Aber nicht nur ich war so gestört. Max fühlte sich wegen seines Lobartikels in der Zeitung verantwortlich. Den Juden in Bergmanns Begleitung war es zu spät. Die Mitglieder des Vereins Bar-Kochba waren wegen des Namens des Stückes gekommen und mußten
    enttäuscht sein. Da ich Bar-Kochba nur aus diesem Stücke kenne, hätte ich keinen Verein so genannt. Hinten im Saal waren zwei Ladenmädchen in ihrem Dirnenabendkleid mit den Liebhabern und mußten während Sterbescenen durch laute Rufe zur Ruhe gebracht werden. Endlich schlugen Leute auf der Gasse gegen die großen Scheiben aus Ärger darüber, daß sie so wenig von der Bühne sahen.
    Auf der Bühne fehlten die Klugs. Lächerliche Statisten. "Rohe Juden" wie Löwy sagte. Geschäftsreisende, die übrigens auch kein Honorar bekamen. Sie hatten meistens nur damit zu tun, ihr Lachen zu verbergen oder zu genießen, wenn sie es auch sonst gut meinten. Ein rundbackiger mit blondem Bart, demgegenüber man sich kaum vor Lachen beherrschen konnte, lachte infolge der Unnatur des angeklebten sich schüttelnden Vollbartes der seine Wangen bei dem allerdings nicht vorgesehenen Lachen falsch begrenzte, besonders komisch. Ein zweiter lachte nur wenn er wollte, aber dann viel. Als Löwy singend starb, in den
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    Armen dieser zwei Ältesten sich wand, langsam mit dem abschwellenden Gesang zur Erde gleiten sollte, steckten sie hinter seinem Rücken die Köpfe zusammen, um sich endlich einmal vom Publikum ungesehn (wie sie meinten) sattlachen zu können. Noch gestern als ich mich beim Mittagmahl daran erinnerte, mußte ich lachen. – Fr. Tschissik muß im Gefängnis dem sie besuchenden betrunkenen römischen Statthalter (der j.
    Pipes) den Helm abnehmen und sich ihn selbst aufsetzen. Als sie ihn abnimmt, fällt ein zusammengedrücktes Handtuch heraus, das Pipes offenbar hineingestopft hat, weil ihn der Helm zu sehr drückte. Trotzdem er jedoch wissen mußte, daß ihm der Helm auf der Bühne abgenommen wird, schaut er Frau Tschissik an seine Betrunkenheit vergessend vorwurfsvoll an. – Schönes: wie Frau T. unter den Händen der römischen Soldaten (die sie allerdings erst zu sich reißen mußte, denn sie fürchteten sich offenbar sie anzurühren) sich wand, während die Bewegungen der drei Menschen durch ihre Sorge und Kunst fast nur fast dem Rythmus des Gesanges folgten; das Lied, in dem sie die Erscheinung des Messias ankündigt und ohne zu stören nur infolge ihrer Macht Harfenspiel durch Bewegungen der Violinbogenführung darstellt; im Gefängnis, wo sie beim öfteren Herannahen von Schritten ihren Trauergesang unterbricht, zur Tretmühle eilt und sie bei einem Arbeiterlied dreht, dann wieder zu ihrem Gesang wegläuft und wieder zur Mühle, wie sie im Schlaf singt, als Papus sie besucht, und ihr Mund geöffnet ist wie ein blinzelndes Auge, wie überhaupt ihre Mundwinkel beim Sichöffnen an die Winkel der Augen erinnern. – Im weißen Schleiertuch, wie im schwarzen war sie schön. – Neu an ihr erkannte Bewegungen: Drücken der Hand in die Tiefe des nicht sehr guten Mieders, kurzes Zucken der Schultern und Hüften beim Hohn, besonders wenn sie dem Verhöhnten den Rücken zukehrt. – Sie hat die ganze Vorstellung geleitet wie eine Hausmutter. Sie hat allen eingesagt, selbst aber niemals gestockt; sie hat die Statisten
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    belehrt, gebeten endlich gestoßen wenn es sein mußte; ihre helle Stimme mischte sich, wenn sie nicht auf der Bühne war, in den schwachen Chorgesang auf der Bühne; sie hielt die spanische Wand (die im letzten Akt eine Citadelle darstellen sollte), welche die Statisten zehnmal umgeworfen hätten. – Ich hatte gehofft, durch den Blumenstrauß meine Liebe zu ihr ein wenig zu befriedigen, es war ganz nutzlos. Es ist nur durch Litteratur oder durch den Beischlaf möglich. Ich schreibe das nicht, weil ich es nicht wußte, sondern weil es vielleicht gut ist Warnungen oft aufzuschreiben.
    7. XI 11 Dienstag Gestern sind die Schauspieler mit Fr.
    Tschissik endgiltig weggefahren. Ich begleitete Löwy am Abend zum Kaffeehaus, wartete aber draußen, wollte

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