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Tagebücher 1909-1923

Tagebücher 1909-1923

Titel: Tagebücher 1909-1923 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Kafka
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vorgelesen. Abend bei Baum.
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    Ich will schreiben mit einem ständigen Zittern auf der Stirn.
    Ich sitze in meinem Zimmer im Hauptquartier des Lärms der ganzen Wohnung. Alle Türen höre ich schlagen, durch ihren Lärm bleiben mir nur die Schritte der zwischen ihnen Laufenden erspart, noch das Zuklappen der Herdtüre in der Küche höre ich.
    Der Vater durchbricht die Türen meines Zimmers und zieht im nachschleppenden Schlafrock durch, aus dem Ofen im Nebenzimmer wird die Asche gekratzt, Valli fragt durch das Vorzimmer wie durch eine Pariser Gasse ins Unbestimmte rufend ob denn des Vaters Hut schon geputzt ist, ein Zischen, das mir befreundet sein will, erhebt das Geschrei einer antwortenden Stimme. Die Wohnungstüre wird aufgeklinkt und lärmt wie aus katarrhalischem Hals, öffnet sich dann weiterhin mit dem kurzen Singen einer Frauenstimme und schließt sich mit einem dumpfen männlichen Ruck, der sich am
    rücksichtslosesten anhört. Der Vater ist weg, jetzt beginnt der zartere zerstreutere hoffnungslosere Lärm, von den Stimmen der zwei Kanarienvögel angeführt. Schon früher dachte ich daran, bei den Kanarienvögeln fällt es mir aber von neuem ein, ob ich nicht die Türe bis zu einer kleinen Spalte öffnen, schlangengleich ins Nebenzimmer kriechen und so auf dem Boden meine Schwestern und ihr Fräulein um Ruhe bitten sollte.
    Die Bitterkeit, die ich gestern abend fühlte als Max bei Baum meine kleine Automobilgeschichte vorlas. Ich war gegen alle abgeschlossen und gegen die Geschichte hielt ich förmlich das Kinn in die Brust gedrückt. Die ungeordneten Sätze dieser Geschichte mit Lücken daß man beide Hände dazwischen stecken könnte; ein Satz klingt hoch, ein Satz klingt tief wie es kommt; ein Satz reibt sich am andern wie die Zunge an einem hohlen oder falschen Zahn; ein Satz kommt mit einem so rohen Anfang anmarschiert, daß die ganze Geschichte in ein verdrießliches Staunen geräth; eine verschlafene Nachahmung von Max (Vorwürfe gedämpft – – angefeuert) schaukelt hinein, manchmal sieht es aus wie ein Tanzkurs in seiner ersten
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    Viertelstunde. Ich erkläre es mir damit, daß ich zu wenig Zeit und Ruhe habe um die Möglichkeiten meines Talentes in ihrer Gänze aus mir zu heben. Es kommen daher immer nur abreißende Anfänge zu Tage, abreißende Anfänge z. B. die ganze Automobilgeschichte durch. Würde ich einmal ein größeres Ganzes schreiben können wohlgebildet vom Anfang bis zum Ende, dann könnte sich auch die Geschichte niemals endgiltig von mir loslösen und ich dürfte ruhig und mit offenen Augen als Blutsverwandter einer gesunden Geschichte ihrer Vorlesung zuhören, so aber lauft jedes Stückchen der Geschichte heimatlos herum und treibt mich in die entgege ngesetzte Richtung. – Dabei kann ich noch froh sein, wenn diese Erklärung richtig ist.
    Aufführung von Bar-Kochba von Goldfaden.
    Falsche Beurteilung des Stückes im ganzen Saal und auf der Bühne. Ich hatte für Frau Tschissik einen Strauß mitgebracht mit eine r angehängten Visitkarte mit der Inschrift aus Dankbarkeit und wartete auf den Augenblick, wo ich sie ihr überreichen lassen könnte. Nun hatte die Vorstellung spät angefangen, die Hauptscene der Frau Tschissik war mir erst für den 4 Akt versprochen, vor Ungeduld und Angst die Blumen könnten welken, ließ ich durch den Kellner schon während des 3ten Aktes (es war 11 Uhr) die Blumen auspacken, nun lagen sie seitwärts auf einem Tisch, das Küchenpersonal und einige schmutzige Stammgäste reichten sie einander und rochen an ihnen, ich konnte nur besorgt und wütend hinschauen sonst nichts, während ihrer Hauptszene im Gefängnis liebte ich Fr.
    Tschissik und drängte sie doch innerlich Schluß zu machen, endlich war der Akt für meine Zerstreutheit unbemerkt zuende gegangen, der Oberkellner reichte die Blumen, Fr. T. nahm sie zwischen den zusammenschlagenden Vorhängen, sie verbeugte sich in einer kleinen Spalte des Vorhanges und kam nicht mehr zurück. Niemand bemerkte meine Liebe und ich hatte sie allen zeigen und dadurch für Fr. T. wertvoll machen wollen, kaum
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    daß man den Strauß bemerkte. Dabei war schon 12 vorüber alles war müde, einige Zuschauer waren schon früher weggegangen, ich hatte Lust gehabt ihnen mein Glas nachzuwerfen. – Mit mir war der Kontrollor Pokorny aus unserer Anstalt ein Christ. Er, den ich sonst gern habe, störte mich. Meine Sorge waren die Blumen, nicht seine Angelegenheiten. Dabei wußte ich, daß er das Stück

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