Tagebücher der Henker von Paris
Beharrlichkeit das einmal von ihm begonnene Unternehmen verfolgt. Nachdem man, wie bekannt ist, in der Sitzung vom 1. Dezember 1789 betreffs seines Antrags vom 28. November, der eine Gleichheit der Todesstrafen für gleiche Verbrechen verlangte, durch ein Dekret zustimmend geantwortet hatte, nahm Doktor Guillotin am folgenden 21. Januar von neuem das Wort, um andere Vorschläge zu unterstützen, die bis dahin vertagt worden waren.
Doktor Guillotin hatte über eine menschliche Bestrafung nachgesonnen, die ein langes Martern verhindere, nicht gerade durch Menschenhand geschehe und nach vollendeter Hinrichtung die traurigen Überreste des Opfers den Augen des Volkshaufens entzöge.
Charles Henri Sanson hatte alle diese Dinge zu nahe und zu oft gesehen, um darüber nicht das beste Urteil fällen zu können. Man zog wohl ganz leicht einen fast entseelten Körper am Galgen hinauf, oder man flocht ihn auf ein Rad, aber es war etwas ganz anderes, ihn auf seinen Knien ganz fest und unbeweglich in dem Augenblick zu erhalten, wo er den tödlichen Streich empfangen sollte. Man mußte sich an Montmorency, Lally-Tollendal und la Barre erinnern, um künftighin solchen erneuten Greuelszenen vorzubeugen. Ließe man den Delinquenten durch Henkersknechte halten, so wäre dies erstens sehr schwierig und hieß ferner auch diese unnütz einer vielleicht gefährlichen Verwundung aussetzen.
Charles Henri Sanson bestand also lebhaft auf der Forderung, daß man ein Mittel finde, den Hinzurichtenden in eine wagerechte Lage zu bringen, welche ihm das Gewicht seines Körpers zu tragen erspare und gleichzeitig die Freiheit seiner Bewegung verhindere.
Glücklicherweise besuchte meinen Großvater seit einiger Zeit ein deutscher Mechaniker namens Schmidt, und mit diesem hatte er bisweilen von seiner und Doktor Guillotins Bedrängnis gesprochen. Dieser Schmidt, damals Klavierfabrikant, war in bezug auf Mechanik sehr erfahren und geschickt, auch wie fast alle seine deutschen Landsleute ein leidenschaftlicher Musiker. Nachdem er die Bekanntschaft meines Großvaters durch einige an ihn verkaufte Instrumente gemacht, hatte er an diesem Gefallen gefunden und kam nun wöchentlich mehrere Male in das Haus des Scharfrichters. Sei es, daß einmal ein Klavier zu stimmen war, oder erschien er aus anderen geschäftlichen Rücksichten, kurz, der Mechanikus Schmidt galt bald in meiner Familie als ein ganz unentbehrlicher Gast und Hausfreund. Die Vorliebe für Musik knüpfte zwischen ihm und Charles Henri Sanson, der auch ein Musikverehrer war und ganz leidlich die Violine und das Violoncell spielte, ein inniges Freundschaftsband; die Aufführung Gluckscher Musikstücke näherte sie einander mehr und mehr.
Schmidt kam bald alle Tage. Während er auf dem Klavier spielte, ließ Charles Henri Sanson seine Violine oder sein Violoncell ertönen.
Eines abends, gerade nach einer Arie aus »Orpheus« und vor einem Duett aus der »Iphigenia in Aulis«, kam man, das heißt mein Großvater, auf den sehr beliebten Instrumentenwechsel, wenn ich dies schreckliche Wortspiel hier anwenden darf; man vertauschte nämlich Klavier und Geige mit der fraglichen Enthauptungsmaschine, deren Gestalt Charles Henri Sanson mit so fieberhafter Hast und Ungeduld Tag und Nacht in Erwägung zog.
»Hören Sie, ich glaube, daß ich eine Maschine nach Ihrem Wunsche erfinden könnte,« antwortete Schmidt, nahm einen Bleistift und entwarf schnell mit einigen Strichen eine Zeichnung:
Dies war die Guillotine!
Die Guillotine war es mit ihrer breiten, scharfschneidenden Stahlklinge, welche zwischen zwei Balken hing und vermöge eines einfachen Seiles leicht bewegt werden konnte. Da lag auch der Delinquent seiner ganzen Leibeslänge nach auf ein Schaukelbrett derartig gebunden, daß, wenn sich das Brett senkte, der Hals gerade auf die Stelle kam, wo das Messer im Fallen ihn treffen mußte.
Die Schwierigkeit war besiegt, das Problem gelöst: Schmidt hatte endlich das Mittel gefunden, den zum Tode Verurteilten in wagerechter Stellung hinzurichten und ihn außerstand zu setzen, durch eine krampfhafte Bewegung den tödlichen Zweck des Streiches zu vereiteln.
Charles Henri Sanson konnte einen Ausruf der Überraschung und Genugtuung nicht zurückhalten.
»Ich wollte mich eigentlich in die ganze Geschichte nicht mischen, und zwar – sehen Sie, weil das den Tod eines Mitmenschen anbetrifft; aber ich habe es endlich satt, Sie ewig und immer so zerstreut zu sehen. So, nun ist die Frage abgetan, und wir
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