Tagebücher der Henker von Paris
lag.
Nach einigen artigen kollegialen Begrüßungsformeln zwischen den Medizinern wünschte Antoine Louis den Plan zu der neuen Maschine zu sehen. Guillotin gab ihm die Zeichnung von Schmidt, der mein Großvater eine ausführliche Erklärung beigefügt hatte, indem er durch Buchstaben den Gebrauch jedes Stückes anzeigte.
Während man eben dabei war, die Arbeit zu prüfen, ging plötzlich eine Tapetentür auf, und ein neuer Ankömmling erschien im Gemach.
Doktor Louis, der bis dahin gesessen hatte, erhob sich. Der Angekommene warf auf Gouillotin, der sich tief verbeugte, einen kalten Blick, wendete sich dann kurz zu Antoine Louis und sprach zu ihm: »Nun, Doktor, wie denken Sie darüber?«
»Diese Maschine erscheint mir vollkommen,« antwortete der Doktor, »sie rechtfertigt alles das, was Herr Guillotin mir davon gesagt hat. Übrigens urteilen Sie selbst.«
Mit diesen Worten überreichte er dem Herrn die Zeichnung.
Dieser betrachtete sie einen Augenblick stillschweigend, dann schüttelte er zum Zeichen einigen Zweifels den Kopf und sprach:
»Wird dieses sichelförmige Eisen wohl auch vollständig seinen Zweck erfüllen? Glauben Sie, daß ein so gerundetes Eisen auch auf alle Hälse passen wird? Ich halte dafür, daß es für manchen zu groß sein wird und andere wiederum nicht umfassen dürfte.«
Seit dem Eintritt dieser Persönlichkeit hatte Charles Henri Sanson weder einen Blick noch ein Wort von ihr sich verlorengehen lassen. Der Ton dieser Stimme lieferte ihm den Beweis, daß der erste Eindruck ihn nicht betrogen hatte. Der mittelgroße Mann im dunklen Anzüge ohne Orden auf der Brust war der König. Durch seine ganze Haltung zeigte er offenbar, daß er nicht für den König gehalten werden und den Anschein erwecken wollte, als sei er lediglich wegen eines wissenschaftlichen Gesprächs hierhergekommen.
Charles Henri Sanson wurde eigentümlich von der richtigen Bemerkung des Königs berührt, und indem er unwillkürlich die Augen auf den Hals des Königs richtete, den die breite weiße Halskrause immer offen ließ, bemerkte er, daß dieser im ganzen sehr kräftig gebaute Fürst einen muskulösen Hals besaß, dessen Umfang den durch den Bleistift Schmidts bezeichneten Halbkreis um vieles übertraf. Nach dieser Entdeckung bemächtigte sich seiner ein unfreiwilliges Zittern, und obwohl er in einer Art stummer Betrachtung versunken blieb, hörte er doch die Stimme des Königs, welcher, auf ihn mit einem Blick deutend, den Doktor Louis fragte:
»Ist dies der Mann?«
Der Leibarzt bejahte durch eine Verbeugung.
»Fragen Sie ihn um seine Meinung,« bemerkte Ludwig XVI. ganz leise.
»Sie haben die Bemerkung dieses Herrn gehört,« sagte der Leibarzt, »in welcher Gestalt denken Sie sich das Fallmesser am besten?«
»Der gnädige Herr hat vollkommen recht,« antwortete mein Großvater, indem er die Worte »gnädiger Herr« ziemlich stark betonte; »die halbmondförmige Gestalt des Fallmessers könnte dann und wann einige Schwierigkeiten herbeiführen.«
Der König lächelte mit einem gewissen Blick der Befriedigung; sodann nahm er eine Feder vom Tisch des Doktor Louis und verbesserte die Zeichnung, indem er anstelle des halbmondförmigen Fallbeils ein Messer mit schräg zulaufender Schneide setzte.
»Übrigens kann ich mich irren,« fügte er hinzu, »und wenn man die Frage lösen will, wird man schon beide Arten Fallmesser versuchen müssen.«
Darauf grüßte er freundlich mit der Hand und zog sich durch die Tür, durch welche er gekommen war, wieder in seine Gemächer zurück.
Fünf Tage nach dieser Zusammenkunft in den Tuilerien, nämlich am 7. März, reichte Antoine Louis der Nationalversammlung seinen Bericht ein, in welchem er klar und einfach den durch Schmidt gezeichneten Mechanismus darstellte und den Vorschlag machte, je nach dem Erfolg von Versuchen sich der einen oder der anderen Form für das Fallbeil zu bedienen. Am 20. März nahm die Nationalversammlung den Antrag in der jetzt erlangten Gestalt an und Doktor Louis wurde beauftragt, die erste Enthauptungsmaschine bauen zu lassen.
Am 17. April 1792 wurde in dem Hofe von Bicêtre unter dem Beisein der Doktoren Antoine Louis, Philipp Pinel und Cabanis zum ersten Male die Enthauptungsmaschine in Tätigkeit gesetzt.
Nachdem die Maschine in allen Teilen sorgfältig untersucht und instandgesetzt worden, schritt man zur Enthauptung der drei Leichname, welche die Direktion der Pariser Spitäler zu diesem Zwecke nach Bicêtre geschickt hatte.
Die
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