Tagebücher der Henker von Paris
großen Corneille durch den Mund seiner Nichte sprechen zu hören.
Der Präsident: »Wer hat Ihnen denn solchen Haß gegen Marat eingeflößt?«
Angeklagte: »Ich bedurfte nicht des Hasses anderer; ich hatte schon an dem meinigen genug.«
Präsident: »Aber der Gedanke, ihn zu töten, mußte Ihnen doch durch irgend jemand eingegeben sein?«
Angeklagte: »Man führt schlecht aus, was man sich nicht selber vorgenommen hat.«
Präsident: »Was haßten Sie denn in seiner Person?«
Angeklagte: »Seine Verbrechen.«
Präsident: »Was verstehen Sie unter seinen Verbrechen?
Angeklagte: »Die Verheerung Frankreichs, die ich als sein Werk ansehe.«
Präsident: »Was Sie die Verheerung Frankreichs nennen, ist nicht sein Werk allein.«
Angeklagte: »Das ist möglich, aber er mußte alles anwenden, um die allgemeine Zerstörung zu erzielen.«
Präsident: »Was hofften Sie, als Sie ihn töteten?«
Angeklagte: »Ich wollte meinem Vaterlande den Frieden wiedergeben.«
Präsident: »Glauben Sie denn, alle Marats ermordet zu haben?«
Angeklagte: »Da jener tot ist, werden die übrigen vielleicht Furcht bekommen.«
Ein Gerichtsdiener zeigte ihr den Dolch vor, dessen sie sich bedient hatte und fragte sie, ob sie denselben wiedererkenne. Nur in diesem Augenblick verriet ihr Gesicht eine innere Bewegung; sie wendete das Antlitz an, stieß den Dolch mit der Hand zurück und sagte mit erstickter Stimme:
»Ja, ich erkenne ihn, ich erkenne ihn.«
Sie hatte Marat im Bade angetroffen und ihm folglich das Messer senkrecht in die Kehle gestoßen.
Fouquier-Tinville bemerkte, sie hätte wahrscheinlich den Stoß in dieser Weise geführt, um ihr Opfer nicht zu fehlen, denn in wagerechter Richtung hätte sie auf eine Rippe treffen können; er fügte dieser Bemerkung die Worte hinzu:
»Sie müssen in diesem Verbrechen sehr geübt sein?«
»O das Ungeheuer!« rief die Angeklagte. »Er hält mich für eine Mörderin!«
Diese Antwort, sagt Chauveau-Lagarde, welche gleich einem Blitzstrahl wirkte, endigte die Sitzung.
Beim Beginn des Audienztermins hatte sie bemerkt, daß ein junger Mann sie aufmerksam betrachtete und ihre Züge zeichnete; sie wendete sich ihm zu, damit er ihr Bildnis leichter entwerfen könnte. Dieser junge Mann war ein Maler namens Hauer, damals zweiter Kommandant im Bataillon der Cordeliers.
Chauveau-Lagarde befleißigte sich in seiner Verteidigungsrede der lakonischen Kürze seiner Klientin; er verteidigte sie, wie sie es wünschte, mit wenigen Worten und indem er die Annahme einer vorbedachten Handlung eher bestätigte als entkräftete. Charlotte Corday, die nichts so sehr fürchtete, als ein demütigendes Gnadengesuch, zeigte sich ihm dankbar dafür. Als die Jury den Spruch getan hatte, der sie zum Tode verurteilte und der Präsident sie fragte, ob sie über die Vollziehung der Strafe noch etwas zu bemerken habe, ersuchte sie die Gendarmen, sie zu ihrem Verteidiger zu führen.
»Mein Herr,« sagte sie zu ihm, »ich danke Ihnen für den Mut, mit welchem Sie mich in einer Weise verteidigten, die Ihrer und meiner würdig ist. Jene Herren (bei diesen Worten wendete sie sich an die Richter) konfiszieren mein Eigentum; ich bin Ihnen aber einen Beweis meiner Erkenntlichkeit schuldig und ersuche Sie daher, das zu bezahlen, was ich in dem Gefängnis schuldig bin, wobei ich auf Ihre Großmut rechne.«
Jene Schuld belief sich auf die Summe von sechsunddreißig Livres, welche sie größtenteils für einen Hut ausgegeben hatte, um anständig vor ihren Richtern erscheinen zu können.
Es war zwei Uhr nachmittags.
Man brachte sie in ihren Kerker zurück, den sie erst verließ, als man sie zum Tode geführt wurde.
Der Schließer Richard und seine Frau erwarteten sie unten an der Wendeltreppe. Der letzteren hatte sie versprochen, mit ihr zu frühstücken, und entschuldigte sich jetzt, indem sie auf ihren bevorstehenden Tod anspielte. In diesem Augenblicke näherte sich ihr ein Priester und bot ihr seinen religiösen Beistand an; sie wies denselben aber sanft zurück.
»Sagen Sie,« sprach sie, »den Personen, welche Sie geschickt haben, meinen verbindlichsten Dank für diese Aufmerksamkeit, aber ich bedarf Ihres geistlichen Amtes nicht.«
Kaum befand sie sich zehn Minuten in ihrem Kerker, als Richard aufs neue erschien. Er brachte den Maler, der ihr Bildnis während der Sitzung flüchtig entworfen hatte und jetzt um die Erlaubnis bat, es zu vollenden. Sie war gern dazu bereit. Hauer machte sich an das Werk. Während der
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