Tagebücher der Henker von Paris
derartige Schauspiele gewöhnt und dennoch fürchtete ich mich dieses Mal. Es schien mir, als richteten sich diese halb geöffneten Augen auf mich und als bemerkte ich noch diese rührende und unwiderstehliche Sanftmut, die mich in Erstaunen gesetzt hatte. Auch wendete ich den Kopf ab. Erst aus dem Murren um mich her erfuhr ich, daß der Schändliche den Kopf geohrfeigt hatte. Andere versicherten mir, ihr Antlitz sei bei dieser Gelegenheit errötet.
Als ich nach Hause zurückkehrte, ging die Prophezeiung der Bürgerin Richard in Erfüllung. In dem Augenblick, als ich mich zu Tisch setzte, fragte mich meine Frau:
»Was fehlt dir denn und warum bist du so bleich!«
Der Prozeß der Königin
Die Nelke; Fouquier-Tinville, Hébert, de Rougeville, Chauveau-Lagarde, Trouson-Ducoudray; Prozeß und Hinrichtung.
Nach dem Tode Ludwigs XVI. schien man die königlichen Gefangenen im Temple-Gefängnis vergessen zu haben. Der Haß, welchen das Pariser Volk gegen Ludwig XVI. hegte, war durchaus politisch und richtete sich mehr gegen den König, als gegen den Menschen; der Haß des Volkes gegen Marie-Antoinette war im Gegenteil zugleich politisch und persönlich. Die Königin hatte unversöhnliche Feinde nicht nur unter den Neuerern, welche die Monarchie zu stürzen oder umzuändern strebten, sondern auch unter ihren eigenen Hofleuten, sogar unter den Mitgliedern ihrer Familie.
Am 1. August erließ der Konvent ein Dekret, welches bestimmte, daß Marie-Antoinette vor das Revolutionstribunal gestellt werden sollte.
Am 2. August um zwei Uhr morgens wurde der Königin dieses Dekret bekanntgemacht; sie hörte es, ohne die geringste Erschütterung zu verraten, packte ihre Kleidungsstücke zusammen, küßte ihre Tochter (seit dem 3. Juli hatte man ihr den Dauphin genommen), empfahl ihre Kinder der Madame Elisabeth und folgte mit festen Schritten den Munizipalsoldaten. Als sie unter einem Türbogen hindurchschritt, vergaß sie, sich zu bücken und stieß sich so heftig den Kopf, daß das Blut aus der erhaltenen Wunde floß. Der Munizipalgardist Michonis fragte sie, ob sie sich weh getan hätte. Sie antwortete: »Nein, mir tut jetzt nichts mehr weh…«
Die Untersuchung zog sich in die Länge. Je näher man auf die der Königin zur Last gelegten Tatsachen einging, desto weniger Beweise fand man für die Verbrechen, von denen man so fest überzeugt gewesen war. Fouquier-Tinville verlor den Schlaf darüber, und die Anklage, die er zu formulieren hatte, gestaltete sich in seinen Augen zu einem unlösbaren Rätsel.
Inzwischen hatten einige mutige Männer den Entschluß gefaßt, die Königin zu retten; unglücklicherweise mußten sie sich aus Furcht vereinzelt halten. In jener Schreckenszeit konnte es geschehen, daß zwei gleich ergebene Männer sich kreuzten und begegneten, ohne eine gegenseitige Mitteilung zu wagen. Einer der Diener des gestürzten Königtums, der Chevalier von Rougeville, gelangte durch Michonis' Vermittlung in Marie-Antoinettes Kerker und reichte ihr eine Nelke, welche er in seinem Knopfloch trug. Diese Nelke enthielt einen Zettel, worin er der Königin seine Dienste anbot. Die Gefangene fürchtete, der junge Mann würde Mittel finden, sich abermals bei ihr einzuführen. Sie wollte aber keines Menschen Leben in Gefahr setzen, um ihr eigenes, auf welches sie so wenig Wert legte, zu retten, und stach daher eine verneinende Antwort mit der Nadel in das Papier. Plötzlich trat einer der wachhabenden Gendarmen ein und bemächtigte sich des Billetts.
Dieser Vorfall wurde in die Anklage mit aufgenommen, welche durch die Schriftstücke, die das Sicherheitskomitee aus den in den Tuilerien aufgefundenen Papieren entnommen, noch vervollständigt wurde.
Am 22. Vendemiaire stellte Fouquier-Tinville den gerichtlichen Antrag. Liest man dieses seltsame Schriftstück, in welchem gegen den gesunden Verstand und die Wahrscheinlichkeit in gleichem Maße wie gegen die Regeln des Stils gesündigt ist, so kann man sich eine Vorstellung von der Verlegenheit machen, worin sich der Ankläger befand; ich will die wichtigsten Sätze desselben wiedergeben:
»Ich, Antoine-Quentin Fouquier, öffentlicher Ankläger beim außerordentlichen Kriminalgericht usw., melde folgendes:
Marie-Antoinette, Witwe Louis Capets, ist infolge eines Konventsdekrets vom vergangenen 1. August vor das Revolutionstribunal gestellt, angeklagt der Verschwörung gegen Frankreich; ein anderes Dekret vom 3. Oktober bestimmt, das Tribunal solle sich unverzüglich und ohne
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