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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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ruhigen Abend mich erholt, dann am nächsten Tag ein chaotischer Grass-Geburtstag, an dem mindestens 25 Personen durcheinanderquirlten. Der liebenswerte Kunert mit seiner Juno – ein Botero-Paar –, ein gräßlicher SPD-Abgeordneter, ein Schweizer Schriftsteller, dessen Namen ich nie gehört hatte und der dem Geburtstagskind ein Päckchen Bündnerfleisch schenkte, mit einem Gastgeber, der bei Tisch einschlief, und einer Ute, die einen Herzanfall bekam – was niemand außer den aufmerksamen Wunderlichs bemerkte; Karin kümmerte sich rührend um Ute, und Paul hatte zu meinem Erstaunen Herztropfen dabei. Wir beide betranken uns «aus Schutz», und ich hielt eine entsprechende Tischrede … So müde, mürrisch und kaputt, daß ich am nächsten Tag in München kaum genießen konnte, weder die wunderbare «Baumeister Solness»-Inscenierung von Zadek noch das (Business-) Gespräch mit Enzensberger für die ZEIT. Mittwoch abend Paul Wunderlich und Karin zur «Kehr-wieder-Boulette», wir hatten uns ja außer bei dem Grass-Chaos lange nicht gesehen. Schön wie immer mit den beiden. Es war ja auch das offizielle «Haus-Beerdigungs-Essen», denn die beiden (unsere Reisen waren alle durcheinandergelaufen) wußten ja noch garnicht, daß ich mich gegen einen Hauskauf in Frankreich entschieden hatte. Paul – obwohl er verstand und auch akzeptierte – doch auch ein wenig traurig: Hinter dem Ganzen stand ja auch SEINE Bouvard-und-Pécuchet-Idee der beiden alt werdenden Freunde, die ihre Sommersitze in der Nähe haben sollten … Donnerstag abend in Berlin, wo Botho Strauß «auf dem Programm» stand, er hatte mir nämlich sehr nett zu dem Kapitel über ihn in DIE NACHGEBORENEN geschrieben. Es wurde ein sehr guter, intensiver und offenbar von Sympathie getragener Abend – er übrigens viel weniger «zart» und weltfern, als ich vermutet hatte, ein sehr robuster Mann, der sich «völlig normal» verhält. Gern und gut ißt, trinkt und klatscht; sich eben nur mit keinem Stückchen am sogenannten Kulturbetrieb beteiligt, nie TV, nie ein Interview, nie Funk, nur sein Schreiben und das Theater.
    Amsterdam und Rotterdam, den 1. und 2. November
    Amsterdam und Rotterdam. Niedliches Hotel mit «Salon», schönes Wetter, freundliche Leute, übervolle Lesung, viele Interviews, sie nehmen hier mein Buch als ein (gutes) Buch und kümmern sich nicht um die falschen oder richtigen Söckchen, die ich trage. Interessiert an meiner Arbeit. Michael Krügers Verriß in der SZ wurde nur verlacht.
    3. November
    Abends in einem Hamburger Studio Fernsehgespräch der ZEIT-Redaktion mit F. J. Strauß, ein schlimmes, schwitzendes, furchterregendes Tier, ein Debakel für die Redaktion (deren GAST er ja war – das ist der Charakter der Sendung) und die in einer Mischung aus Hochmut, Dummheit, Unpräpariertheit und Negativ-Faszination nicht zu reagieren vermochte, von der Gräfin bis zu Sommer. Ich war der einzige, der wenigstens – 1 ½ Minuten lang – aggressiv war, länger ließ einen diese Dampfwalze nicht zu Worte kommen; manche meinten, ich habe die Ehre der ZEIT gerettet, andere wieder, ich habe sie besudelt, na ja.
    7. November
    Sehr sonderbarer, eigentlich unsympathischer Besuch – «Antrittsbesuch» – von Helmut Schmidt im Ressort; er hatte sich extra – wegen Feuilleton – einen Rollkragenpullover angezogen, lächerlich (trägt er nicht mal am Brahmsee!). Weltenfern von unseren Dingen, was ja auch sein Recht wäre, er ist eben – if so – Politiker und nicht Schöngeist; wenn dieser Mann nur nicht den Ehrgeiz hätte, über schlichterdings ALLES Bescheid zu wissen, ob den Milchpfennig der EG oder Barock. Damit geht er natürlich bei meinen Eminenzen herrlich unter, zumal, wenn er predigt, wir sollten doch nicht nur die volksferne Avantgarde wie Brecht oder Kafka pflegen – die ja seit einigen Jahrzehnten nicht nur populär, sondern Massenerfolge sind, also nix volksfern und auch seit sehr langem nicht mehr Avantgarde. Daß es die Aufgabe eines guten Feuilletons ist, den Formenkanon DER EIGENEN ZEIT aufzubrechen, da nach vorne zu sehen, die neuen Autoren zu finden, zu sehen, zu beurteilen – das versteht er nicht; Kunst ist Justus Frantz und Christoph Eschenbach, nicht mal Penderecki oder Boulez (auch schon arrière-garde ).
    Saulgau, den 11./12. November
    Also Saulgau zu Hans Werner Richters Geburtstag (bereits entsetzlich, da auch nur hinzugelangen!), einerseits nehme ich mir’s übel, mich so zu verschwenden und durch die Gegend zu

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