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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Besäufnis, wohl ganz komisch, was er mir hinterher davon erzählte – ganze Teile, die ich nicht mehr erinnerte, habe dann ja förmliche Blackouts und wüßte selbst unter Mordverdacht nicht mehr zu sagen, was ich wann und wo tat. Auch kein gutes Zeichen. So lag ich Samstag, bei herrlichstem Berliner Sommerwetter, hinter verhangenen Gardinen des Kempi und kam mittags mühevoll zu meiner Sitzung hoch, um mich gleich hinterher wieder hinzulegen. Ein vertaner (vertrunkener) Tag. An der Sitzung nur interessant, wie mehr und mehr alle Literaten übereinander herfallen, es gibt KEINERLEI Freundschaft oder auch nur Solidarität – Jaeggi über Habermas (und vice versa, «Jaeggis Geschleime»), alle über Wapnewski, selbst ein Niemand wie Wiegenstein erlaubt sich das bereits, Grass zeigte sich mit einem Pasquill von Janssen, das offenbar gegen Wunderlich gerichtet war (er «warnt» Grass davor, sich «sponsern» zu lassen; der reinste Quatsch – wohl weil Grass bei Wunderlichs Lithoanstalt in Zürich arbeitet). Und so: Es geht ihnen entweder zu gut oder zu schlecht, Kaiser ruft mich an und macht sich über Mayers Buch lustig, aber der sitzt nächsten Tag bei mir und erzählt, Kaiser habe ihn voller Begeisterung angerufen. Da bietet sich nicht nur die Frage an: Wie werden sie alle über mich reden, sondern: Was tun wir alle miteinander uns an? Wir wissen es alles besser als die Politiker – aber ich für meinen Teil möchte von keinem von denen regiert werden! Ihre Narzißhaftigkeit und Eitelkeit ist zu schlimm.
    20. Mai
    Zürich-Report. Wahrscheinlich liegt’s ja an mir und meinem sonderbaren «Zustand» – ob’s auch das Männer-«Klimakterium» ist? –: Aber genossen habe ich nichts von alledem. Das ist das eigentlich Bemerkenswerte und traurig Machende – es war STRAHLENDSTES Frühlingswetter mit kleinen Wölkchen über dem See, mit feinem Zimmer, herrlichem Essen, ein Leben wie ein König und «Herr Professor» hinten und vorne im Hotel und auch sonst. Behagliches Mittagessen mit Ruthchen Liepman, ganz viel Zeit zum Bummeln – aber, aber. Ich weiß eben nicht, wie man das macht, bummeln. Ich laufe nervös durch die Stadt, die ich ja schließlich auch schon mal gesehen habe; was muß ich mit 50 Jahren staunend durchs Niederdorf trudeln, das macht man als Student, oder mir den Kakteengarten am See ansehen. Mumpitz. Ich sitze dort in einem Café – und bin nach 20 Minuten nervös, zwinge mich da, eine Straße langzugehen, zwinge mich ins Museum – aber auch Cézanne-Bilder habe ich schon mal gesehen (allenfalls verblüffend eine Hans-Richter-Ausstellung, den ich immer für einen 3.klassigen Dadaisten hielt und der offenbar doch mehr war). Ist es auch unser Fatum, daß wir nicht mehr oder kaum noch neugierig sein können? Was soll man mir schon Neues bieten? So streife ich ziellos und wahllos durch Zürich, getreu dem neuen Motto, mir nicht mehr als 4 Termine auf einen Tag zu legen; das halte ich nun zwar brav durch, aber viel Sinn gibt’s auch nicht. Dann also Muschg und die «Kuhauge»-Premiere – hm. Ich war doch ziemlich aufgeregt, hatte ja aus diesem Manuskript noch nie etwas öffentlich gemacht. Muschg holte mich ab, war einerseits nett und fast freundschaftlich wie immer, andererseits merkbar irritiert, daß ich in diesem Hotel wohnte – im «Baur au Lac» hätten seit Jahrzehnten keine Linken mehr gewohnt. Das alte Lied – die Uniform, Ente fahren und Gauloise rauchen … An der Uni dann ein eher merkwürdiger Kreis, keineswegs in erster Linie Studenten, mehr kunstsinnige, alte Damen, davon reichlich. Zuerst ein «Seminar» über mich, was auch merkwürdig ist, mit anzuhören; die Eingangslaudatio ist man ja gewöhnt, es ginge ja auch nicht, jemanden einzuladen, ohne ihn «wundervoll» zu finden. Dann «Textanalyse» – bizarrerweise anhand von WARUM. Dann meine Lesung, ich spürte deutlich, wie sich Muschgs Gesicht verschattete. Hochhuth, der als rührender Kumpel dabei war, meinte – wie er mir am nächsten Tag am Telefon sagte –, das auch bemerkt zu haben; da er wie alle Dramatiker das Böse im Menschen sieht und betont, meinte er nur: «Neid.» Wie immer – und das Abendessen in seinem ganz und gar gräßlichen, kleinstbürgerlichen Hause – Madame kredenzte mit einer Küchenschürze uns etwas Unbeschreibliches, was sie sehr lobte, dazu gab es süßen Wein, der dafür schön warm und wenig war – blieb eher verhangen im Gespräch, so daß ich gegen 23 Uhr verschwand. Den Abend zuvor, mit

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