Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
von «postum bis zum Überdruß erörterte(n) Indiskretionen von außen». Als ans Licht kam, mit welchen Mitteln er an seine Informationen gelangt war, führte das nicht zuletzt zu seiner Kündigung beim STERN.
1985
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Sehr verehrter Herr Wolff, ich habe den Eindruck, daß meine Tätigkeit im Hause nicht so ersprießlich für beide Teile ist, wie das wohl nötig wäre. Ich bitte Sie daher, aus meiner Stellung zum nächsten zulässigen Termin – das wäre der 31. März d. J. – ausscheiden zu dürfen. –
Indem ich Ihnen für das mir bewiesene Vertrauen danke, bin ich in alter herzlicher Ergebenheit Ihr Kurt Tucholsky, Berlin, den 11. Februar 1920
(aus: Kurt Tucholsky, Gesamtausgabe, Texte und Briefe, Bd. 17, Reinbek 2006, S. 153)
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Am 11. Oktober 1985 veröffentlichte Fritz J. Raddatz in der ZEIT die Glosse «Bücher-Babylon», in der er die bevorstehende Frankfurter Buchmesse und Entwicklungen auf dem Buchmarkt kommentierte. Dabei schrieb er Goethe fälschlicherweise folgende Äußerung über Frankfurt zu: «Man begann damals das Gebiet hinter dem Bahnhof zu verändern. Die alten Schreberhäuslein wurden niedergelegt. Verleger hielten mit ihren Bücherständen Einzug. Aber bald herrschte, wo vordem des Lebens Rankenwerk gewuchert, die neue Unübersichtlichkeit des Geistes. Modische Eitelkeit.» Was dem Chefredakteur Theo Sommer und weiteren Redakteuren der ZEIT als Gegenlesern entging, sprang den Feuilletonisten anderer Zeitungen sogleich ins Auge: Das Zitat konnte nicht von Goethe stammen, weil es zu dessen Lebzeiten in Frankfurt weder den Bahnhof noch eine Buchmesse gegeben hatte, auch wenn Goethe in Briefen und Tagebucheinträgen das neue Transportmittel, die Eisenbahn, tatsächlich schon erwähnt hat. Raddatz hatte das Goethe-Zitat einem parodistisch gemeinten Artikel der NZZ entnommen. Der Fehler wurde von den Feuilletons skandalisiert, ja regelrecht gefeiert und führte letzten Endes dazu, daß Raddatz seinen Posten als Feuilletonchef der ZEIT räumte.
1990
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Zum Beginn des Jahres 1990 entstand in Deutschland eine rege politische Debatte im Hinblick auf die bevorstehende Wiedervereinigung beider deutscher Staaten. Günter Grass trat damals vehement gegen eine Wiedervereinigung ein und plädierte stattdessen für eine Konföderation, um sowohl ein mögliches Erstarken Deutschlands auszuschließen als auch den Sorgen und Ängsten der Nachbarstaaten Rechnung zu tragen. Er war für Einigung statt Einheit: «Wer gegenwärtig über Deutschland nachdenkt und Antworten auf die deutsche Frage sucht, muß Auschwitz mitdenken. Der Ort des Schreckens schließt einen künftigen Einheitsstaat aus.» Ein modernes Verbrechen von solchem Ausmaß, meinte Grass, habe nur von einem deutschen Einheitsstaat begangen werden können, folglich dürfe dieser nicht wieder entstehen. Im Februar 1990 diskutierte Grass in einem Fernsehgespräch mit seinem Antipoden in dieser Debatte, Rudolf Augstein, einem Fürsprecher der Einheit, der in der Sendung mehrfach konstatierte: «Der Zug ist abgefahren.» Die Wiedervereinigung gehe unaufhaltsam ihren Weg, Auschwitz sei eben nicht konstituierend für den künftigen Lauf der Welt.
1991
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Die sogenannte Ballonaffäre geht zurück auf den August 1969, als Fritz J. Raddatz stellvertretender Verlagsleiter bei Rowohlt war. Damals bekam ein Lektor aus der DDR eine Sonderausgabe von Jewgenija Semjonowna Ginsburgs «Marschroute eines Lebens» zugeschickt, ein Buch, das zwei Jahre zuvor im Rowohlt Verlag erschienen war und in dem Ginsburg, eine antistalinistische Autorin, von ihrer Gefangenschaft in sowjetischen Arbeitslagern berichtet. Die Sonderausgabe war als ein grünes Notizbuch getarnt und verwies im Impressum auf eine westdeutsche Deckadresse der Bundeswehr, an die sich die Leser wenden sollten, und zwar, wie es ausdrücklich hieß, mit fingiertem Absender und verstellter Handschrift. So kam heraus, daß der Verlag im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums 1967 eine Ausgabe von Ginsburgs Memoiren hatte drucken lassen, die das Ministerium dann mit Hilfe von Ballons über dem Staatsgebiet der DDR verteilte. Der Vertriebschef Karl Hans Hintermeier hatte den Auftrag angenommen, ohne Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, den Verleger, und seinen Stellvertreter Raddatz mehr als im allgemeinen zu informieren. Folglich hatten die beiden zugestimmt, wußten aber nichts Genaues über die Verwendung des Buches, über die Tarnung oder die dem Impressum beigefügte Aufforderung und hatten auch nie ein
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