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Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)

Titel: Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz J. Raddatz
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Hochhuth draußen in Paul Wunderlichs Lithoanstalt, so 80 km vor Zürich, weil dorten nemmlich Junterchen am Drucken war, und wir wollten in dem attachierten (SEHR guten) Gasthofe zusammen essen. Taten wir auch, und es war eigentlich ein netter Abend, nur daß Grass nicht aufhören wollte zu trinken (was mir neuerdings nicht mehr bekommt) und auch ganz herrschaftlich sagte (auf mein: «Ich möchte den Fahrer nicht so lange warten lassen»): «Chauffeure sind das gewohnt.» Hm.
    Kampen, den 28. Mai
    Was für eine sonderbare Woche wieder hinter mir liegt. Hier sitze ich nun in meinem geliebten Handschuhfach in Kampen, brennende Ginsterbüsche begrüßten mich, unvorstellbar schön, die Bude renoviert, gereinigt, alles OK – eine neue Hausbesorgerin, selbst einen Masseur für/gegen meinen schlimmen Rücken scheine ich gefunden zu haben, perfektes Sylt-Wetter mit Sonne, kühlendem Wind, jagenden Wolken, zum Abendessen von der Gänseleber mit frischen Feigen über den Spargel bis zur frischen roten Grütze ein «Dinner»; und trotzdem bin ich innen ganz kaputt. Ob meine Energie, die ich nicht recht loswerde, sich gegen mich selber richtet, mich sozusagen aushöhlt? Diese monologische Situation, die mich – der ich ja sehr auf Gespräche angelegt bin; schon mein Kindermädchen brach in Tränen aus über mein «Geplapper» – zerstört? Ich weiß es nicht – ich merke nur einen regelrechten physischen Verfall, weiche Knie, unsicheren Schritt, ständige kleine «Schrammen» und Beulen am Auto (ich bin in einem Zustand, daß ich eigentlich überhaupt nicht fahren dürfte), das rasende Kopfweh Tag und Nacht IST irgendwas und wird durch Massagen allein nicht weggehen. Meine Hypochondrie läßt mich auf letzte Phase Syphilis oder multiple Sklerose tippen … Tatsächlich habe ich Wortfindungsstörungen, gratuliere Herbort zum schönen Corff-Artikel, wenn ich Orff meine, und sage: «Ich muß noch eine Bank ausfüllen», wenn ich einen Scheck meine; das Gehirn ist also haarscharf «daneben». Meine Chaplin-Scenen mit fallen lassen, vergessen, alles doppelt machen füllen inzwischen Teile des Tages, eigenartigerweise nicht in der Redaktion, wo ich natürlich gefordert bin. Es klappt eben nur noch die Inscenierung – so wie letzten Freitag: Abendessen mit Wunderlich und seiner Familie und meinem Neffen Peter, Anfahrt mit dem großen, Abfahrt mit dem kleinen Rolls-Royce, was für den Jungen, der aus der Wüste Nevada kommt und für den mein Porsche schon der Hollywood-Traum ist, ja auch verwirrend sein muß. Es war ein «vergnügter» Abend. Sonntag abend draußen bei Kunert. Meine ewige Rolle, wenn die Leute wüßten, wie mir eigentlich zumute ist; die nähmen sich fein ihre Krise … Munter aus dem Auto, alles brav bewundert und auch die Kartoffelsuppe brav gelöffelt. Als Vorspeise Salat, Nachspeise keine, für uns drei zwei Flaschen Wein (was ja gut wegen Auto und Kopfweh ist, aber als Angebot halt doch ein wenig wenig). Trotzdem: Beide waren eigentlich wieder nett und fast freundschaftlich, er wirklich sehr endzeitlich, ich glaube nicht nur als Masche, resigniert, bitter vis-à-vis de rien . Durfte dann, nachts, zusehen, wie der einzig gut-, will sagen: nicht verkommen – aussehende Mensch in der Unterwelt durch mich hindurchblickte wie durch eine Glaswand – aber lustige und flirtende Augen bei jemand anderem bekam, mit dem er genau DREI Minuten nach Flirtbeginn abzog. Sehr ermutigend, wieder mal. Inzwischen ist nun Peter Meyerhoff ausgezogen – doch ein ziemlicher Schmerz für mich, auch durch die Art, wie er das tat: nämlich ohne ein Wort. Ich bin’s ja nun von ihm gewöhnt, die Jahre hindurch, daß er aus einer Mischung von komischem Zynismus («Sieh mal die Frau mit den Krampfadern da») und Multschigkeit eigentlich an anderer Menschen Leben nicht teilnimmt, auch an meinem nicht, mich ja in 5 Jahren nicht ein einziges Mal zu sich in die Wohnung eingeladen hatte – aber dieser stumme Auszug, ohne ein Abschiedswort, die schönen Biedermeier-Möbel und Palmen auf der Straße vorm Möbelwagen und Peter (als ich in den Wagen stieg) mir nebenbei winkend, so, als sähen wir uns morgen früh wieder; das war doch arg. Wenn man denkt, daß er mal meinetwegen herzzerreißend weinte! Ich glaube, er kann garnicht mehr weinen, und seine lustigen Zynismen sind inzwischen seine zweite Natur geworden (weswegen er letztlich menschlich leer und deswegen auch so unzuverlässig bleibt; letztes von den unzähligen Beispielen: meine

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