Tagebücher: Jahre 1982-2001 (German Edition)
früher Biermanns Geliebte war), daß Havemann diesen letzten, berühmten und gefilmten Besuch von Biermann nicht ertragen, immer nur gestöhnt habe: «Wann geht dieser gräusliche Mensch endlich» und nach B.s Abgang gerufen habe: «Jetzt brauche ich SOFORT ein Stück Schweinebraten zum Trost.» Aß es und starb (dran). Freunde fürs Leben nennt man das. Wichtiger als all das: Wie soll ich mich wegen des «Kuhauge»-Manuskripts entscheiden? Ich kann mich auch nicht zu Tode beraten. Es haben nun Grass und Wunderlich, Enzensberger und Brasch gelesen, Muschg Teile gehört und einen hoch-merkwürdigen Brief dazu geschrieben. Alle sind zumindest angetan, einige begeistert, Brasch drängt auf Veröffentlichung und sagt zu Recht, Rücksicht irgendeiner Art wäre nicht nur neu für mich und mir ungemäß, sondern würde sogar alle meine bisherigen Proklamationen und Positionen vis-à-vis Literatur unglaubwürdig machen. Brasch vorgestern: Muß so und nicht anders raus, es ist fertig so. Grass gestern: Es ist aber noch nicht fertig, gib es nicht zu früh aus der Hand. Hat nun Brecht recht oder Thomas Mann? Ich neige zu Brasch-Brecht. Ich finde, dieser Teil hat SEIN Klima, anstückeln ginge auch schon sprachlich nicht, es kommt nach dieser Lebensphase eine andere innere Haltung, damit andere literarische Struktur. Möchte danach lieber meine «Toten vom Spoon River» schreiben. Aber was noch und wann?
Kampen, den 28. Juni
Mitscherlich ist tot – und ich gehe Tennis spielen. Wenn ich schon mal von zwei Gewohnheiten Abstand nehme: abends Tagesschau und morgens VOR dem Frühstück in die Zeitung sehen. So war meine groteske Trauergeste: schlecht Tennis spielen. «Es regnete Tote» – das scheint weiter zu gehen. Zeigt auch meinen Jahrgang, ob nun Havemann, Peter Weiss oder jetzt Mitscherlich – das sind ja alles Menschen, die ich entweder persönlich gut kannte oder deren Arbeit für mich, für meine wichtig war. So bewege ich mich aufs Grab zu, und tatsächlich macht mir mein stetes Kopfweh, von morgens beim Aufwachen bis zum Zubettgehen, große Sorge. Mir ist den halben Tag schwindlig, das muß etwas Ernsthaftes sein, mein tiefes und endlos langes Schlafen ist ja ohnmachtsähnlich, und Luft und Wind, Massage, Tennis und Schwimmen – also perfekte «Erholung» hier eigentlich – haben NICHTS genutzt. Die Kraft, mal 14 Tage wirklich keinen Tropfen Alkohol zu trinken, habe ich dennoch nicht gehabt – Schwäche des Alkoholikers? Makaber bei Mitscherlich auch, daß ich 3 Tage vorher mit seiner Frau korrespondierte, sie Grüße ausrichtete und ich zurückfragte: «Kann man irgendwie helfen?» Gleichzeitig ein Brief von Augstein, der sich verwundert, wieso der kranke und «debile» Mitscherlich Jury-Mitglied bei der von mir initiierten ZEIT-Bibliothek der 100 Bücher ist; was ja nun, auch eine Pointe, in der Tat seine letzte «Arbeit» war. (Augstein, trickreich wie immer, schreibt ja auf meine Frage, ob er den Plato übernehmen möchte: «Ja, gerne mache ich den Hobbes.») Sie sind ja alle absonderlich, die Herren Schreiberlinge, eitel, weswegen sie – von Kreisky bis Bertaux, von Aron bis Golo Mann – mitmachen; aber jeder will ein Extra-Süppchen à la: nein, diesen Titel nicht – aber jenen. Und das MUSS dann einer sein, der – wie die mitgeschickte Liste zeigt – vergeben ist. So muß Küng natürlich den Luther rezensieren, den aber Frau Ranke-Heinemann «hat». Jetzt die Tucholsky-Briefe, meinen Text dazu, die Auswahl für NDR und ZEIT-Magazin, die Zwischentexte, Benjamins Passagenwerk, Ernst-Weiß-Aufsatz vorbereiten. Im Genick der große Jünger-Aufsatz und die beiden großen Gespräche mit Böll und Lenz. Einerseits natürlich alles sehr schön – aber auch bißchen viel (gut, daß ich das meiste für mein Buch verwenden kann; das ist natürlich die privilegierte Situation meiner Tätigkeit). Der Gedanke, daß ich meine «eigentliche» Arbeit dabei vernachlässige, ist momentan etwas erstickt; Unseld hat auf einen gewiß sehr empfehlend-dringlichen Brief von Brasch über «das» Buch reagiert: Er will – wie damals bei der Intervention von Enzensberger – es nicht mal sehen! Ledig reagiert nicht auf Hochhuths Tip: Also diese «Rolle» des Prosa-Schreibers gesteht man mir nicht zu. Wenn ich mich erinnere, daß Unseld, damals nach dem Rowohlt-Bruch, als er mich zu Suhrkamp holen wollte, wörtlich sagte: «Sie sind mir zu groß, ich habe Angst vor Ihnen.» Was ist da nur an/in mir, was die Leute so reagieren
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